Ende der Neunziger Jahre hielt ich mich über eine Zeitspanne von 2 ½ Jahren geschäftlich alle 4 Wochen für knapp 6 Wochen in Atlanta auf. Suwanee liegt im nördlichen Speckgürtel der Stadt und ich hatte dort ein Zimmer bei einem Bekannten für die Zeit meiner jeweiligen Anwesenheit. Da ich morgens ins Büro runter nach Buckhead musste, blieb mir keine Alternative zur I-85, einer 6-spurigen Autobahn die sich von Greensboro im Nordosten bis nach Montgomery in Alabama erstreckt. Jeden Morgen schlich ich so im Schneckentempo auf dieser bis zum Anschlag überfüllten Autobahn dahin, wobei sich die Kolonne in gleichmäßigem Tempo bewegte, als würden alle wie in einem dieser Vergnügungsparks in einem Wägelchen sitzen, welches automatisch weitergezogen wird. Das gibt einem die Gelegenheit die anderen Verkehrsteilnehmer zu studieren. Die Damen legten letzte Hand an um das Make-Up in Ordnung zu bringen und die Herren der Schöpfung frühstückten ihre Donuts genüsslich beim stoischen Blick durch die Windschutzscheibe. Fand ich das anfangs noch amüsant, war ich bald ein Teil des Ganzen und bewaffnete mich vor der Fahrt an der Tankstelle selbst mit Kaffee und Essbarem. Mein Bekannter überließ mir eines seiner Autos für diese Tortur und so saß ich als Deutscher inkognito in einem uralten Chevrolet Camaro, der mit seinem fetten 5,7 Liter V8-Motor beim morgendlichen Start die Nachbarschaft aufschreckte. Über die komplette Heckscheibe erstreckte sich eine transparente US-Flagge mit der Aufschrift „Pray for our troops“.
Nach Feierabend nutzte ich ab und zu die Gelegenheit eines der Oversize-Kinos aufzusuchen, um mir neue Filme anzuschauen. So geschah es auch zur Premiere des Films „Saving Private Ryan“ und es war ein merkwürdiges Gefühl, wenn Hunderte Kehlen ein lautes „Yeah“ schrien, wenn mal wieder ein Nazi abgeknallt wurde. Nach dem Filmende bestieg ich unerkannt mein „Bete-für-unsere-Truppen-Gefährt“ und knatterte die I-85 hoch nach Suwanee.
Im Radio lief „St.James Infirmary“ mit Louis Armstrong und ich lauschte der Musik gedankenversunken mit starrem Blick auf die Scheinwerfer, von denen einer nach links oben und der andere nach rechts unten strahlte. Ich dachte mir unbewusst, ich sollte vielleicht selbst ein Gebet anstimmen, dass ich heil ankomme, statt es den US-Truppen zu widmen.
Am nächsten Tag besuchte ich den Vinyl-Dealer meines Vertrauens und kaufte „Satchmo plays King Oliver“ in der Originalpressung von Audio Fidelity, die klanglich eher etwas enttäuschend ist. Ungefähr 1 Jahr später erschien jedoch das etwas teurere Re-Issue von Classic Records. Die Aufnahme von 1959 (veröffentlicht 1960) wurde von Bernie Grundman für Classic Records re-mastered und klingt himmlisch. Nicht nur das wohl weithin bekannte und wunderschöne „St.James Infirmary“ kann begeistern, sondern fast sämtliche anderen Titel auch, wobei die Durchzeichnung Referenzcharakter hat. Armstrong knödelt wie gewohnt, wurde hier aber genial eingefangen. Wie eine Bekannte so schön sagte, als sie die Scheibe das erste Mal hörte: „Das ist gespenstisch, der steht direkt vor mir“. „Belafonte at Carnegie Hall“ entstand etwa zur gleichen Zeit und manche Tonmeister hatten damals ein goldenes Öhrchen, wenngleich oft beim Mastering geschlampt wurde - der Vergleich zur Erstpressung von 1960 fällt nüchtern aus, denn diese reicht in keiner einzigen Disziplin auch nur annähernd an die Classic Records-Ausgabe heran. Im direkten Vergleich klingt das Original verhangen, etwas schlapp und mittenlastig. Es gibt noch neuere 200-Gramm-Pressungen der LP (z.b. von Analogue Productions), die sich lohnen könnten, allerdings besitze ich keine davon und kann deshalb auch keine Empfehlung aussprechen. Welche ich aber wärmstens empfehlen kann ist die ST-91058.
Louis Armstrong – Satchmo plays King Oliver
Audio Fidelity/Classic Records ST-91058
USA 1999
Das „Olympia“ ist eine Konzerthalle im 8.Pariser Arrondissement in der Nähe des Place de la Madeleine. Dort nahm Diana Krall 2001 ein Live-Album auf, was ich zu jener Zeit nicht wusste, obwohl ich täglich am „Olympia“ vorbeifuhr. Natürlich ist das ein abstrakter Gedanke, weil ich nicht an eine Parallelwelt glaube, in der die Schatten Anderer über Orten schweben und diese zu „musikheiligen“ Stätten emporhieven. Dennoch kann ich mich solcher Gefühle nicht erwehren, wenn ich solche Orte besuche oder auch nur beiläufig und zufällig streife. Das „Olympia“ war schon oft Wirkungsstätte einiger Musikgrößen und hat eine gute Akustik. Vielleicht habe ich sogar zur gleichen Zeit in der Nachbarschaft geschuftet, als „die Krall“ dort auftrat. Vielleicht wäre ich auch hingegangen, wenn ich nicht mit den Widrigkeiten eines wirklich kalten Dezembers in der Stadt der Liebe hätte kämpfen müssen.
In einer großen, dunklen und sehr kalten Lagerhalle musste ich mit meiner Mannschaft Telekommunikationsgerätschaften säubern und testen, die ich vorher von einem der großen Provider mit Hauptsitz am Place de la Madeleine kaufte. Natürlich durfte kein Stück das Lager ohne Bezahlung verlassen, was aber auch umgekehrt galt: ich zahlte kein Stück ohne es getestet zu haben. So saßen wir dort mit 8 Mann auf Hockern in einem selbst gebauten Plastikzelt riesigen Ausmaßes, welches wir mit Elektroheizern aus dem Baumarkt befeuerten, damit wir nicht bei Minusgraden an den Laptops einfrieren. Die Aktion dauerte mehrere Wochen, da es sich um Hunderte von Geräten handelte. Den Strom bezog ich von einem Nachbarn, der über der Lagerhalle eine Art Penthouse errichtete, welches sich im Rohbau befand. Unsere Gerätschaften waren zu viel für die Sicherung, wenn wir morgens den „Fuhrpark“ anwarfen. Abwechselnd sind wir dann nach oben geklettert, um die Stromversorgung wiederherzustellen. Es war sehr mühsam, hatte aber irgendwie auch etwas von einem urbanen Abenteuercamp, wenn man die Phalanx an Laptops einmal ausgeblendete. Als ich täglich in der Dämmerung zurück zu meinem Hotel fuhr, machte ich oft Umwege zur Erkundung der Stadt. Wenn es schneite und die Flocken vor den Scheinwerfern tanzten, während ich gemächlich die Pariser Straßen entlangfuhr, eingerahmt von wunderschönen alten Gebäuden, aus deren Fenstern Licht strahlte, stand die Zeit still. Selbst im teilweise hektischen Pariser Straßenverkehr sorgt Schnee für solche Momente, die ich sehr genoss.
Das Verve-Original von Diana Krall’s „Live in Paris“ kam 2002 nur als CD in den USA auf den Markt. Das Mastering hat Doug Sax wie immer genial erledigt. Die Original Recordings Group veröffentlichte das Doppelalbum im gleichen Jahr als Vinylausgabe mit 33RPM.
Im Jahr 2011 erschien dann ORG 003 als Doppelalbum mit 45RPM. Zunächst erschloss sich mir der Sinn nicht, warum Verve keine LP veröffentlichte, aber wer weiß welche rechtlichen Vereinbarungen dahinterstecken mögen. Universal hat 2016 eine Vinylversion nachgeschoben, da hatte ORG aber schon jahrelang die 33RPM und die 45RPM Version am Start. Wie dem auch sei: beide Versionen von ORG klingen hervorragend, die 45RPM vielleicht eine Nuance offener mit etwas mehr Raum und Punch in den unteren Lagen. Frau Krall ist mit Elvis Costello verheiratet und hat in ihm eventuell einen guten Ratgeber, weil er ein musikalisches Chamäleon ist und auch ein Faible für Jazz hat. „Live in Paris“ ist Contemporary Jazz, also leichte Kost. Dennoch kommt die Musik beschwingter als auf den etwas langweiligen Studioalben wie etwa “The look of Love”. Die Begleitband ist von Rang und Namen; John Clayton am Akustik(Stand-)Bass, Jeff Hamilton an den Drums und Anthony Wilson an der E-Gitarre legen sich mächtig ins Zeug. Frau Kralls etwas rauchige Stimme ist perfekt eingefangen. Man wippt bei den Uptempo-Nummern automatisch mit den Füssen. Die beiden letzten Songs sind Studioaufnahmen („A case of you“ von Joni Mitchell und „Just the way you are“ von Billy Joel) und klingen genauso ansprechend. Toll gemacht.
Diana Krall – Live in Paris
Original Recordings Group ORG 003 – 2 LP, 45RPM
USA 2011
Ich hatte nie ein Faible für die Stones; bis die „Sticky Fingers“ erschien. Klar kannte ich Jumpin‘ Jack Flash und Honky Tonk Women und ein paar der anderen Gassenhauer, aber irgendwie sprang der Funke nicht über. Das lag sicher auch mit daran, dass sämtliche deutschen Pressungen mehr oder minder schrottig klangen und an UK- oder US-Originale war zu jener Zeit nicht so einfach heranzukommen. „Memo from Turner“ von Mick Jagger fand ich allerdings ganz anregend, wenn ich so darüber nachdenke. In den Partykellern, in von Rauchschwaden geschwängerter Luft, gefüllt mit Teenagern in schweißnassen T-Shirts, plärrte aus irgendeiner Ecke immer ein Stones-Song, beiläufig nur, weil es Wichtigeres zu tun gab wie uns die Beatles-Fraktion lehrte, denn die hat ohnehin immer nur darauf gewartet, dass „Hey Jude“ läuft um sich der Weiblichkeit zu nähern – und umgekehrt. Ich will nicht an Ikonen rütteln, denn die Stones haben teilweise Großartiges geschaffen/geschafft, wenn es darum geht die Massen zu mobilisieren. Es grenzt an ein Wunder, dass ein Keith Richards nicht schon vor Jahren das Zeitliche segnete, obwohl er schon sehr lange ausschaut, als fiele er jeden Moment um.
Ein kleiner Kreis alternder Männer in unserem Kaff bei Frankfurt – zu dem ich auch gehöre – rafft sich ab und zu auf, um noch einen oder mehrere der alten Recken live zu erleben. So geschehen bei Eric Clapton oder auch Joe Cocker. Oder auch die Originalbesetzung von Cream in der Royal Albert Hall, die Who (natürlich ohne Keith Moon aber mit Zak - dem Sohn von Ringo Starr an den Drums) und einige andere mehr. Zu den Stones haben wir es nie geschafft. Das lag einerseits daran, dass die Konzerte durch den großen Andrang und dem daraus resultierenden Chaos nicht so verlockend waren und andererseits an den prohibitiven Preisen für Eintrittskarten. Ein Bekannter ist mit mir außerdem einer Meinung, dass es auch keine Stones Live-LP gibt die einigermaßen gut klingt – außer einem Remaster der „Rolling Stones in Brussels“, aber das gibt es nicht (offiziell) zu kaufen.
Rolling Stones und guter Klang gingen also sehr selten eine Symbiose ein. Von den gut drei Dutzend Stones-LP’s, die ich besitze, würde ich nicht so viele als klanglich ansprechend bezeichnen, vielleicht mit Abstrichen noch den Sampler „Through the past darkly“ auf der London-Erstpressung. Meine englische Erstpressung der „Sticky Fingers“ klingt teilweise nicht schlecht (Sister Morphine, Wild Horses), so wie „Exile on Main Street“ auch – aber eben nicht durchgängig. Von den späteren Werken klingen „Some Girls“, „Undercover“ und „Dirty Work“ recht gut. „Black + Blue“ ist jedoch tontechnisch ein richtiges Pfund. Es ist das vielleicht am meisten unterschätzte Stones-Album, weshalb es sich lohnt genauer hinzuhören. Die deutsche Pressung mit STERLING im dead wax klingt überragend. Meine englische Erstpressung ist auch nicht besser. So wie „Hot Stuff“, „Hey Negrita“ und „Melody“ hören Sie die Stones auf keinem anderen Album. Der Sound ist satt, dynamisch und kontrastreich. Geben Sie der LP eine Chance, sie werden es nicht bereuen.
The Rolling Stones - Black + Blue
Rolling Stones Records – COC-59106-Z, Stamper Matrixes: A/2, B/3 STERLING
Deutschland 1976
Eric war der Pro im „Golfclub of Georgia“ und ein smarter Typ. Er hatte ein Händchen, was den Umgang mit den illustren Gästen angeht. Bill Gates ließ er in Blümchenshorts schon mal einen Flight absolvieren und Alice Cooper dürfte sich ebenfalls wohl gefühlt haben; konnte Eric doch ganz gut mitreden, wenn es um Musik ging. Wir machten uns über den Schock-Rocker ein wenig lustig, weil Cooper nach dem 18.Loch zurück in sein 12-Meter-Wohnmobil kroch und den Golfkanal einschaltete. Es ist immer wieder erfrischend, ein wenig hinter die Fassaden schauen zu dürfen. Eine von Eric’s Lieblingsbands war Little Feat, was ich absolut nachvollziehen konnte. Im Shop ließ er ab und zu einen der gemäßigteren Titel dieser Band laufen und wir saßen bei eiskalter Limonade zusammen und quatschen über Gott und die Welt. Der Jahresbeitrag im Club betrug US $ 60.000,00 und Eric erzählte mir, dass ein Clubmitglied aus Japan eine Weile lang jeden Monat die 60kusd überwiesen hat, bis er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es sich um einen Jahresbeitrag handelt. Offensichtlich war es ein Tokyoter, wo solche Summen normal sind für ein Fleckchen in der Stadt, von dem aus man Bälle irgendwo hin dreschen konnte.
Lowell George war die Stimme von Little Feat und Richie Hayward ein Drummer, der den „Laden“ zusammenhielt. Ich mag auch die früheren Alben der Band, allen voran „The Last Record Album“ auf dessen Innenhülle steht, dass es „Hi Roller“ nicht mehr ins Album geschafft hat und nachgeliefert wird. Und das ist der grandiose Opener auf „Time loves a hero“. Ein weiteres Highlight ist „Day at the dog races“. Hayward versteht es einfach ein Fundament zu schaffen, auf dem sich die anderen austoben können. Er verschleppt, zieht an, rockt und pusht. Ich weiß nicht ob das Album ohne ihn genauso faszinierend wäre. Die US-Pressung „steht voll im Saft“, klingt im besten Sinne analog. Von allen „Little Feat“-Alben die ich habe (einschließlich des Live-Albums „Waiting for Columbus“ als US-Erstpressung und MFSL) klingt „Time loves a hero“ am besten. Die US-Pressung dürfte günstig zu finden sein und sollte in keiner Sammlung fehlen.
Little Feat - Time loves a hero
Warner BS 3015 – Stamper Matrixes: RE-1, RE-1
USA 1977
Während eines Kurztrips nach Salzburg kamen meine Frau und ich auf die Idee, uns „Aida“ in einer Industriehalle anzutun. Glücklicherweise wurden wir vorher informiert, dass die Heizung ausgefallen ist und weil es tiefster Winter war, saßen wir da in unseren dicken Klamotten und schauten leicht bekleideten Menschen auf der Bühne bei der Bewältigung einer der bekanntesten Opern zu. Das hatte etwas Bizarres; insbesondere wenn wir die Atemluft der Sänger beobachteten, die je nach Lautstärke einen kürzeren oder längeren Schweif des gasförmigen Wassers sichtbar machte, welches unserem Atem innewohnt. Das Ensemble konnte einem wirklich leid tun, dafür haben sie ihre Sache jedoch gut gemacht. Die Akustik war grottig, aber was kann man auch schon von einem solchen Ort erwarten?
Ich dachte insgeheim an die LSC-2400 und die ist eine der schönsten Scheiben aus dem gesamten RCA-Katalog. Alleine Marsch und Ballett aus dem 2.Akt von „Aida“ sind unwiderstehlich. Das Orchester hat Verve, die Bläser schmettern und alles ist so aufgenommen, dass sie fast die Trompeten zählen können. Ich habe die LP auch als spätere Victrola (VICS 1206 Plum Label), die nicht ganz an die wirklich audiophile Aura der Shaded Dog heranreicht, aber immer noch toll klingt. Die LP ist nicht einfach zu finden und in der Regel auch teuer. Analogue Productions hat 2017 ein Re-Issue veröffentlicht, welches besser ist als sein Ruf. Falls sie eines günstig erwerben können, reicht es aus, um die Zeit zu überbrücken, bis Sie ein Original finden. Oder schauen Sie nach der Victrola, auch die englische Pressung ist gut (VIC 1206). Angeblich gibt es auch eine englische Erstpressung auf dem red/silver Label (SB 2094), ich habe jedoch noch nie eine gesehen, geschweige denn gehört.
Ballet Music from the Opera – Fistoulari, Paris Conservatoire Orchestra
RCA LSC-2400 – Shaded Dog Label – Stamper Matrixes: 1S A1, 1S A1 Indianapolis
USA 1960
In den nördlichen City-Limits von Fort Lauderdale gibt es einige Musikclubs bzw. kleinere Konzerthallen. Wenn die umtriebigen Touristen in der Stadt schon abgefüllt oder einfach nur müde waren, machten sich die unerschrockenen auf den Weg zu einem Konzert, zumal dort draußen die Sperrstunde weit nach hinten verlegt wurde. Man konnte dort viele Cover-Bands genießen, von denen manche exorbitant gut waren. Man ignoriert besser die bierseligen Amerikaner, die einfach nur zu jedem noch so schrägen Ton gröhlen (ganz schlimm war das mal in Wiesbaden bei einem Foreigner-Konzert, wo sie von Anfang an herumhüpften und ihr Bier spritzend und schäumend auf die Umherstehenden verteilten – der Sound war grottig und selbst die Vorgruppe „Snowball“ hat man heruntergemischt, so dass die später auftretenden Helden nicht das Nachsehen hatten). Konzentriert man sich stattdessen auf das was die Bühne hergibt, winkt die Chance auf etwas Besonderes. Ich hatte schon mal in einer Bar neben Sloppy Joe’s auf Key West eine bluesige Rockband erleben dürfen, deren wohl einziges Manko war, dass niemand sie kannte.
Eines Abends in einem der Clubs in Lauderdale trat eine ZZ Top Coverband auf. Und die war absolut umwerfend. In nahezu perfektem Sound hauten sie dem Publikum einen Hammer nach dem anderen um die Ohren. Der Bass war ultratief und federnd, das Schlagzeug fett und treibend und die Gitarrenriffs zum Niederknien. Es waren allesamt Stücke der ersten ZZ Top-Alben und diese ersten fünf Alben der Tex/Mex-Rocker sind gut, danach ging es bergab – zumindest nach meinem Geschmack. Mit einer leuchtenden Ausnahme: „Deguello“ – das ist ein richtig gutes Album und enthält den Killersong „Cheap Sunglasses“. Von einer guten US-Pressung (auch die deutsche ist nicht zu verachten) tönt dieses Stück vollmundig, treibend und wunderbar rockig bei gleichzeitig gnadenloser Durchzeichnung bis hin zum Bass und den Drums.
Ich habe aber „Tres Hombres“ herausgepickt. Nicht wegen „La Grange“, obwohl ich auch diesen Titel sehr mag. Es sind die bluesigeren Nummern die anmachen. „Waiting for the Bus“ zum Beispiel, aber mein Favorit ist „Master of Sparks“. Auf der US-Erstpressung schiebt dieses Stück unwiderstehlich, die Drums treiben, der Bass trägt und die tief geschnallte Gitarre singt – alles fett und voll und saftig. Sehr lecker. Nun gibt es wie so oft eine fast unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Pressungen. Vor kurzer Zeit schob Rhino ein Re-Issue nach, welches frischer tönt, aber nicht an das sich schon länger am Markt befindliche Re-Issue herankommt, welches bei RTI gepresst wurde. Wenn Sie danach Ausschau halten – und das sollten Sie – achten Sie unbedingt auf dieses Detail. Das ist das mit Abstand klanglich beste Re-Issue. Die Original London XPS 631 klingt im direkten Vergleich verhangener, dumpfer und im Bass nicht so akkurat.
ZZ Top – Tres Hombres
RTI Re-Issue
USA 2014
„Running up that hill“ war der Hit auf diesem Album, dicht gefolgt von “Cloudbusting”. Atmosphärisch dichter aber sind die ersten drei Titel auf Seite 2. „Dream of Sheep“ zeigt einen Raum, der unendlich scheint; das Grollen im Hintergrund, über Allem Mrs.Bushs Stimme, diese Mischung aus kehligem Gesang und Fast-Falsett – das alles hat magische Züge und wer die Nase bei dieser Künstlerin rümpft, sollte dringend Nachhilfeunterricht nehmen.
Die deutsche Pressung klingt phantastisch. Das hat Tiefe, Raum und Dynamik. Nun waren viele Audiophile hinter dem Re-Issue von Audio Fidelity her, zumal Kevin Gray und Steve Hoffman gemastert haben. Beide sind sehr gut beleumundet was diesen Job betrifft, aber auf AFZLP 087 haben sie daneben gegriffen, zumindest auf Seite 1. „Running…“ klingt flach und uninspiriert – legt man die deutsche Pressung zum Vergleich auf, staunt man Bauklötze.
Ich fand Gray’s Remaster der „Fragile“ von Yes schon etwas unterkühlt und wenig anmachend (AFZLP 087 kam früher, ich habe sie aber erst später gekauft), andere Sachen wiederum waren richtig gut – zum Beispiel die CCR-LP’s. Sparen Sie sich die Investition und greifen Sie zur deutschen EMI oder auch der englischen Pressung. Als Kate Bush mit „The Kick Inside“ debütierte, schieden sich die Geister. Das Werk polarisierte, war aber in der Nachbetrachtung ein genialer Wurf. Zu Beginn unserer Beziehung haben meine Frau und ich „Wuthering Heights“ bis zum Abwinken gehört. Die Band rekrutierte sich weitestgehend aus Musikern von Cockney Rebel und Frau Bush mäanderte mit ihrem Elfengesang trittsicher durch ein anspruchsvolles Programm. Mich hatte die LP damals geflasht und viele Alben später mag ich Bush’s Musik immer noch, von wirklich wenigen Ausnahmen abgesehen. Etwas verkitscht betrachtet fühle ich mich beim Anhören in ein Land mit Elfen und immerwährendem Frieden versetzt, auf einer grünen Wiese liegend und den Klängen lauschend, weder durstig, noch hungrig, sondern einfach nur im Einklang mit mir selbst. Oder auch in reichlich geschmückten Palästen aus 1001 Nacht im Takt drehend und ein wohltuendes Bad nehmend….o.k. zu viel des Exkurses….. Aber Frau Bush macht so etwas mit mir, was sie auch auf wesentlich späteren Alben erneut bewies (z.B. auf „50 words for snow“ oder „Aerial).
Kate Bush – Hounds of Love
EMI 038-74 6164 1 – Stamper Matrixes: A1-C, B2-C
Deutschland 1985
Ich hätte dieses Duo beinahe ignoriert, wenn ich nicht einem dieser spontanen Open-Air-Konzerte in einem neu errichteten und mit viel Getöse eröffneten Reichen-Ghetto mehr oder minder zufällig beigewohnt hätte.
Die Beiden sind seit einer Weile Geheimfavoriten bei Audiophilen. Die kleine Besetzung stellt nicht unbedingt große Hürden für die Tontechniker dar. Aber einen solch genialen Klang muss man auch erst einmal hinzaubern.
Schon der Opener „Light my Fire“ ist grandios aufgenommen. Die vollmundige Semi-Akustikgitarre von Thomas Fellow scheint aus den Boxen zu springen und Constanze Friend singt mit ihrem dunklen Timbre direkt ins Herz. Dynamik und Durchzeichnung sind referenzverdächtig. An diesem Sound gibt es nicht die geringste Kleinigkeit auszusetzen. Unbedingt kaufen!
Friend ‘N Fellow – Covered
RUF Records – RUF 2003
Deutschland 2006
Auch wenn Paul Simon mancherorts kontrovers beurteilt werden mag, sind dem Mann einige musikalische Meriten nicht abzusprechen. Die frühen Simon + Garfunkel-Alben (allen voran Parsley….+ Bookends) sind kleine Meisterwerke und auch manche Solo-Alben des Mannes offenbaren ein untrügliches Gespür für Harmonien und Melodien, die sich in die Erinnerung einbrennen. Einzelne Songs herauszupicken wäre schändlich. Mit Graceland startete Simon so etwas wie seine „Weltmusik-Phase“ was per se nicht zu beanstanden ist, wenngleich mir manche Stücke (auch auf „The Rhythm of the Saints“) ein wenig zu kosmopolitisch gerieten, was aber auch in gewissem Rahmen meiner gelegentlich aufblitzenden musikalischen Engstirnigkeit zugeschrieben werden kann. Ich höre mir eigentlich alles erst einmal unvoreingenommen an; auch mehrmals, wenn ich das Gefühl habe ein Musikstück könnte mich noch packen. Wenn jedoch irgendwann der Drang entsteht, die Nadel zum nächsten Stück zu bewegen, wird es schon schwieriger. Als gutes erklärendes Beispiel sei hier „Revolution No.9“ vom White Album der Beatles genannt. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass es verschwendete Lebenszeit ist, sich dieses Machwerk in voller Länge anzutun, es sei denn, man nimmt dabei Nahrung zu sich. Ist nicht ganz so böse gemeint wie es sich liest.
Dass man auch bei Amiga nicht auf den Mauerfall im November 1989 vorbereitet war, sieht man an einer kleinen Anekdote: auf dem Cover von „Graceland“ ist die „Deutsche Schallplatten GmbH“ benannt, aber auf den Labels steht noch „VEB Deutsche Schallplatten Berlin DDR“. Wie bei Tracy Chapman’s Debutalbum und Dark Side of the Moon auf dem Amiga-Label merkt man bei „Graceland“ die Handschrift von Musikern beim Mastering. Die Amiga klingt besser als die US-Erstpressung (obwohl diese in Sterling gemastert wurde) und auch die englische Pressung reicht nicht an die Dynamik und Fülle der Amiga heran. „Homeless“ (mit Ladysmith Black Mambaza) ist der Maßstab. Diese Stimmen in all ihren Facetten auf den Punkt zu bringen ist große Kunst.
Paul Simon – Graceland
Amiga 856521 – Blaues Label – Stamper Matrixes: +1A, +2A
DDR 1990
In der zweiten Hälfte der Siebziger kam Joan Armatrading zu ein paar Konzerten nach Deutschland. Mein Bruder und ich kratzen ein paar D-Mark zusammen und kauften die billigsten Tickets für die Jahrhunderthalle in Frankfurt.
Aus der Retrospektive betrachtet war das Konzert einer der schönsten Momente, die ich mit meinem jüngeren Bruder hatte. Wenn ich heute diese LP höre, erfasst mich große Wehmut angesichts der Ereignisse, die sich viel später um meine Familie abspielten. Mein Vater und mein Bruder litten an Depressionen und als meine Mutter starb, war es an mir, diese beiden verirrten Seelen mit der schrecklichen Wahrheit zu konfrontieren und zu versuchen, Trost zu spenden.
Zu jener Zeit war mein Vater bereits Patient in einer psychiatrischen Klinik und ich weiß noch sehr genau, dass ich zunächst meinen völlig verstörten Bruder mitten in der Nacht abholte, damit wir uns von unserer verstorbenen Mutter verabschieden konnten. Sie lag im Krankenhaus auf einer Bahre, bis zum Hals bedeckt mit weißen Laken, damit man die unzähligen Wunden der vorangegangenen vergeblichen Herzoperation nicht sehen musste. Mein Bruder war nicht imstande, sich dem Leichnam zu nähern und so oblag es mir, ein letztes Mal ihre eiskalte Hand zu nehmen und ihr zuzuflüstern, dass ich sie niemals vergessen werde. Kurze Zeit später wurde auch mein Bruder in die Psycho-Klinik eingeliefert, unfähig sein Leben autonom zu gestalten. Später haben wir es mit einer kleinen Wohnung und einem mobilen Pflegeteam versucht, wobei ich 2 mal täglich zu ihm fuhr um Essen zuzubereiten oder Wäsche zu tauschen. Schon zu jener Zeit war sein Blick leer. Ich versuchte es mit Musik, mit Gesprächen, die Erinnerungen wachrufen sollten. Schon kurze Zeit danach lieferte er sich selbst wieder in die Klink ein. Später wurde er in ein Heim für psychisch Kranke verfrachtet, weil die Herren Psychiater der Meinung waren, er sei durchtherapiert.
Ich kündigte die Wohnung und kümmerte mich um die Entsorgung der Möbel. An jedem Wochenende fuhr ich zu meinem Vater, der mittlerweile in einem sündhaft teuren Pflegeheim untergebracht, aber selbst todunglücklich war. Er telefonierte täglich mit meinem Bruder, wobei Beide so gut wie nichts sagten. Es ging wohl mehr darum zu erkunden, ob der jeweils andere noch lebt.
Bei Familienzusammenführungen an Geburtstagen oder Weihnachten und ähnlichen Anlässen, saßen sie sich schweigend gegenüber. Eines Tages rief mich mein Vater an und bat mich meinen Bruder anzurufen, da er ihn nicht erreichen konnte. Als ich endlich jemanden in dieser unsäglichen Einrichtung am Apparat hatte, fragte man mich völlig unvermittelt: „Hat Sie denn noch niemand angerufen?“
Ich wusste augenblicklich, dass ich meinen Bruder nie mehr wiedersehen würde. Die Vollidioten in diesem Heim hatten die Tür zum Dach des mehrgeschossigen Gebäudes offenstehen lassen; einem Haus in dem suizidgefährdete Patienten mit Pillen vollgestopft werden. Der Arzt sagte mir später es sei gut gewesen, dass ich nicht vor Ort war und den zerschmetterten Körper meines Bruders sah. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen das Heim wurden bereits nach 4 Wochen eingestellt. Es lohnt sich offensichtlich nicht, Zeit für Menschen zu vergeuden, deren Leben nur noch einem Dahinvegetieren glich. Auf der Beerdigung musste ich meinen erneut gebrochenen Vater stützen und die Urne mit der Asche meines Bruders wurde neben der meiner Mutter im Erdreich versenkt. Der katholische Pfarrer lehnte es zunächst ab, die Beisetzung zu begleiten. Schon damals hatte ich eine Abneigung gegen diese abgrundtief heuchlerische Kirche. Ich ließ es mir nicht nehmen, die – bis auf einige lieblose Worte des Pfaffen - ersatzlos gestrichene kleine Messe durch Musik zu ersetzen und so ertönte in der kleinen Kapelle „Knockin’on heavens door“ in der wunderschönen Version von Antony and the Johnsons. Die Tränen waren noch nicht getrocknet, da standen wir alle am offen Grab und der Pfarrer fragte meinen Vater ernsthaft, ob hier sein Bruder die letzte Ruhestätte findet. Ich konnte nicht anders als ihm ins Ohr zu zischeln: „das ist sein Sohn Du Arschgeige und wenn Du es nicht einmal für angebracht hältst, Dich für einen solchen Moment vorzubereiten, wärst Du besser Zuhause bei Deiner Haushälterin geblieben, die sicher schon sehnsüchtig wartet“. Eine Woche später kam die Rechnung der Kirche. 400 Euro stand da drauf. Einfach nur ekelhaft.
Wir opferten wie gesagt unser letztes Erspartes, weil Joan Armatrading mit ihrer vorherigen LP unser Interesse weckte. Unsere Erwartungen waren allerdings nicht allzu hoch, zumal die Instrumentierung der Songs und auch die Kompositionen der Lady die Tour-Musiker vor große Herausforderungen stellt, dies auch Live zu performen. Die schüchtern wirkende Dame betrat die Bühne, gefolgt von ihrer Band, die aus namhaften Studiomusikern bestand. Ich kann mich nicht mehr an einzelne Namen erinnern, außer an Dave Mattacks, der an den Drums saß. Ich kann mich aber auch irren. Die Halle war nicht einmal zu einem Drittel mit Besuchern gefüllt und fast alle saßen Sie in den vorderen Reihen. Wir und ein paar andere arme Würstchen saßen oben ganz hinten. Nach dem ersten Song pausierte Frau Armatrading und rief uns zu, nach unten zu den anderen zu kommen. Die Saalordner jedoch fanden das weniger gelungen und bedeuteten uns sitzen zu bleiben. Da sprach Sie zu den Ordnungskräften und sagte sinngemäß, dass sie viel Zeit mitgebracht hat und gerne ihre Bitte mehrere Male wiederholen werde, bis wir alle zusammensitzen, denn vorher werde es keine weitere Musik geben. Das Publikum klatschte uns dann rhythmisch nach unten und es begann ein zweistündiges Konzert, das ich nie vergessen werde. Und dafür liebe ich Joan Armatrading und habe ihr sogar eines ihrer letzten Alben verziehen, auf welchem sie versuchte, Blues zu spielen. „Show some emotion“ ist grandiose Musik, dargeboten von grandiosen Musikern. Nennen wir es einfach Softrock und Soul mit Reggae-Elementen und jazzigen Parts gemischt mit einer Stimme, die unter die Haut geht. Produziert wurde die Platte von Glyn Johns und wenn sie diesen Namen irgendwo in den Credits auf anderen Scheiben entdecken, greifen Sie bedenkenlos zu. Es gibt keine von Glyn Johns produzierte LP, welche wirklich schlecht klingt (das sage ich sogar mit nur minimalen Einschränkungen über die von ihm produzierte „Who’s Next“ in der englischen Erstpressung). Anspiel-Tips sind „Opportunity“, „Show some emotion“ und „Never is too late“. Prädikat “anbetungswürdig”.
Joan Armatrading – Show some emotion
A+M AMLH 68433 – Stamper Matrixes:
England 1977
Auf der B-Ebene der Hauptwache in Frankfurt am Main gab es jahrelang einen Plattenladen der mehr oder minder chaotisch geführt wurde – im krassen Gegensatz zu dem sich oben am Rossmarkt befindlichen Phonohaus mit seinem fast schon antiseptischen Ambiente, aber immerhin mit Kabinen, in denen man LP’s auflegen und per Kopfhörer checken konnte. Preislich schlug der Laden im Keller die schicke LP-Boutique an der Sonne um Längen.
Der etwas verschrobene Typ im Kellerladen hatte einen erlesenen Musikgeschmack und ich habe dort viel Musik kennengelernt, die mir sonst nicht über den Weg gelaufen wäre. Beide Läden gibt es schon lange nicht mehr. Eines Tages lief dort unten eine LP, die sofort meine Aufmerksamkeit hatte. Es war die „So far…so good“ eines englischen Künstlers namens John Martyn. Es war ein Sampler mit Stücken vorheriger LP’s, die allesamt an mir vorbei gerauscht waren. Ich habe die LP sofort gekauft und Zuhause hoch und runter gespielt. Diese Akustikgitarre, der homogene Sound der anderen Instrumente und diese Melodien waren göttlich. Natürlich habe ich mir nach und nach – bis auf die ganz frühen Werke – alle LP’s von John Martyn besorgt. Insbesondere die „Solid Air“ ist klanglich und musikalisch im Olymp. Ohne Wenn und Aber. Ob Akustik- und E-Gitarre, Bass, Keyboards oder Drums; alles klingt organisch warm und doch akzentuiert. Der Produzent John Wood hat damit ein Meisterwerk abgeliefert, welches auch noch entsprechend perfekt in Sterling gemastert wurde. Für solche LP’s würde ich meilenweit barfuß auf heißem Asphalt gehen. Ich hätte gut und gerne noch mindestens 3 weitere Alben von John Martyn mit ins Buch aufnehmen können, weil sie auch außergewöhnlich gut klingen (Inside Out, One World, Grace and Danger), habe mich aber dann für "Bless the Weather" entschieden (siehe weiter hinten). Wenn Sie noch nichts von diesem leider schon verstorbenen Künstler in Ihrer Sammlung haben, sollten Sie dies schleunigst nachholen.
John Martyn – Solid Air
Island ILPS 9226 – Pink Rimmed Label – Stamper Matrixes: A-1U, B-1U STERLING
England 1973
Keith Relf war zusammen mit Eric Clapton, Jeff Beck und Jimmy Page bei den Yardbirds. 1968 löste sich die Band auf, weil Relf und Page eigene Bands gründen wollten. Relf gründete Renaissance, Page machte unter dem Namen „The New Yardbirds“ weiter. Die Band benannte sich kurze Zeit später um in „Led Zeppelin“. Der Rest ist Geschichte.
Die Musik von Renaissance lässt sich nicht so leicht in eine Schublade stecken, am ehesten treffen noch die Begriffe Art-Rock oder Psychadelic/Progressive-Rock zu, wobei Piano und Cembalo (gespielt von John Hawken) eine prominente Rolle einnehmen. Toningenieur war der geniale Paul Samwell-Smith (siehe Cat Stevens – Tea for the Tillerman). Das RL im Dead Wax deutet auf den alten Bekannten Bob Ludwig hin und SS bedeutet Sterling Sound (die Mastering Plant in NY). Analoges Herz, was begehrst Du mehr? Der Klang dieser LP ist überragend und zwar in allen Belangen. Wenn ich in Gedanken meine LP’s - und jene die mir noch fehlen - aus den Sechzigern und Siebzigern durchgehe, wünsche ich mir eine Zeitmaschine, die mich für eine begrenzte Zeit lang – nämlich für eine Zeitdauer von genau 3 Jahren - in die Vergangenheit bringt. Genauer gesagt zurück in die Jahre 1969 bis 1972 nach England und die USA und dann wieder nach Hause, dem hier und jetzt. Ich hätte allerdings eine Bedingung daran geknüpft: genügend Dollar und Pfund in der Tasche und die Erlaubnis ausreichend Übergepäck befördern zu dürfen. Das gros der Ladung hätte die komplette Palette an Pink Island und Pink Rimmed Island LP’s, sowie fast alle Atlantic Pressungen ausgemacht, dann die RCA Living Stereo’s und die Mercury Living Presence-Titel, danach die Deccas und dann noch die Polydors und und und….. Träumen muss ja auch mal erlaubt sein.
Renaissance – Renaissance
Island ILPS-9114 – Pink Label – Stamper Matrixes: A//1, B∇1 RL SS
England 1969
Ohne Harry Pearson und dem Magazin „The absolute Sound“ aus den USA wäre es nie dazu gekommen, dass die alten RCA Living Stereo und Mercury Living Presence LP’s einen solchen Hype erfuhren – in Spitzenzeiten wurden Unsummen für gerauchte LP’s hingeblättert. Ich denke nur an die LDS-6065 Royal Ballet für Tausende Dollar oder die unsägliche Mercury SR-90144 Hifi al la Espanola für eine ebenfalls 4-stellige Summe – deren Klang zwar zugegebenermaßen extrem gut ist, das Programm allerdings höchstens als Fahrstuhlmusik taugt. Pearson erfand auch die so genannte TAS-Liste und der Gebrauchtpreis jeder LP, die darin aufgenommen wurde, schoss durch die Decke.
Auch die deutschen Redakteure einschlägiger Magazine schlugen in die gleiche Kerbe und machten den Lesern die Münder wässrig, indem sie die Fundorte ihrer Schätzchen geheim hielten und jede Menge Mystik um die angeblich sagenhaften Aufnahmen spannen. Ich weiß noch sehr genau wie einer dieser Journalisten, der für sich beanspruchte in Sachen gebrauchtem Vinyl ein regelrechtes Trüffelschwein zu sein, bei mir auf drei, zwei, eins eine LSC-2201 Pictures at an Exhibition mit Reiner und dem Chicago Symphony Orchestra für einen 3-stelligen Betrag ersteigerte, obwohl er doch nur gelegentlich in die USA fliegen und in seinen Geheimläden shoppen müsste. LSC-2201 ist nun wahrlich nicht rar und die Stamper-Matritzen sind bei diesem Titel relativ unerheblich – ich habe eine 35S gehört, die sehr gut klang.
Unter den Top-LP’s des Harry Pearson wurde auch Mercury SR-90006 geführt. Es sind zwei zeitweise etwas sperrige Werke Prokofievs, die aber mit zunehmender Dauer (und Wiederholung) wachsen.
Diese LP gehört in den Klangolymp. Das London Symphony Orchestra ist sehr realistisch eingefangen, die Dynamik ist dramatisch, das Raumgefühl grandios. Die Musik ist stellenweise etwas harsch, aber keinesfalls unangenehm. Die „Scythian Suite“ ist ein spannendes Stück Klassik mit allem was ein großes Orchester zu bieten hat; die Platte ist ein Erlebnis und audiophiles Fest. Meine Original SR-90006 wurde in Richmond gefertigt, gilt also nicht als Erstpressung, da diese Stamper Matrixes hatte, die mit „FR“ begannen. Dennoch klingt sie sehr gut, ich würde sogar sagen quasi identisch im Vergleich zur FR1/FR1, die mir ein Bekannter freundlicherweise für ein paar Tage überließ.
Beide Ausgaben werden jedoch getoppt von der 2012 erschienenen ORG 118. Das Orchester kommt in den Tutti noch brachialer, die Durchzeichnung ist besser und die Saalgröße noch einfacher zu verorten. Ich habe auch ein Re-Issue von Classic Records, welches anständig klingt, aber gegen das Original etwas abfällt.
Prokofiev – Love for three Oranges/Scythian Suite, Dorati/LSO
Mercury SR-90006 – Maroon Label – Stamper Matrixes: RFR1/RFR1
USA 1957
Original Recordings Group ORG 118 – 2 LP, 45RPM
USA 2012
Es gibt Dinge die man in seinem Leben gemacht hat und mit reichlich zeitlichem Abstand in der Nachbetrachtung als dümmlich und oft auch oberpeinlich bewertet. Neben anderen Untaten, die mir bei längerem Nachdenken sicher in den Sinn kämen, gibt es ein Vorkommnis, welches sich jedes Mal in meine Gedanken drängt, wenn ich die Peer Gynt Suiten höre. Unserer Tochter war noch klein und wir beehrten einen dieser beliebten Urlaubsclubs die nach dem Gestrandeten benannt sind, dessen Einsamkeit ausgerechnet von einem Freitag vertrieben wurde. Zu jener Zeit war dort auch ein Pärchen, welches im Gegenzug für Tanzkurse kostenlosen Urlaub verbringen durfte. Eines Abends sah ich mich einer Nötigung ausgesetzt, als die reichlich angetrunkene Gesellschaft von Urlaubsbekanntschaften meinte, ein Rock‘n Roll Kurs sei doch genau das Richtige für mich als Musikfreak. Wer mich kennt weiß, dass meine Tanzkünste sich darauf beschränken, den Kopf im Takt von Paranoid oder Smoke on the Water zu bewegen und das noch nicht einmal ekstatisch. Ich weiß nicht ob ich es noch lernen würde und ich gebe zu, dass mir dazu einfach der Enthusiasmus fehlt. Vielleicht schreckten mich auch die unsäglichen Tanzpaare ab, die genau zu jenem Smoke on the Water ihren Disco-Fox tanzten. Wir eingebildeten Rocker und Revoluzzer empfanden das als Blasphemie und wer da mitmachte, konnte Keiner von uns sein. Dorfphilosophie in Reinkultur eben. Jedenfalls gab ich der Gemeinde zum Besten, dass ich eher vor dem ganzen Club den sterbenden Schwan mache, als mich zu einem Tanzkurs prügeln zu lassen und zack war ich in der Zwickmühle. Am nächsten Abend gab es die Rock‘n Roll Show und ich wurde sozusagen eingeflickt, als der Hofnarr, der sich zum Affen macht und das Volk belustigt. Professionell geschminkt und bewaffnet mit Perücke, Tütü, Ganzkörperanzug aus seidenmatter Baumwolle und Ballettschühchen, saß ich im Backstage-Bereich und kippte eine ganze Flasche Sekt. Tagsüber habe ich in der Musikkabine aus selbst mitgebrachtem Material ein kurzes Band zusammengeschnitten mit Auszügen aus dem Tanz in Aida und Ase’s Tod aus den Peer Gynt Suiten. Das sollte dann - wenn es synchron zu meinem Auftritt läuft – den Tod des Schwans symbolisieren. Draußen hörte plötzlich die Rock’n Roll Musik auf. Die Performer taten gespielt überrascht und schauten sich verwirrt um, als meine Musik begann. Ich sprang in die Manege wie der Hauptprotagonist in Schwanensee, die Beine im angedeuteten Spagat, mit den Armen wild fuchtelnd und im Kreis herumhechelnd zum Tanz der Aida bis die Musik mit dem Thema aus Ase’s Tod überblendet wurde und ich in Zuckungen nach links und rechts den Sterbenden simulierte, darauf hoffend, dass es bald vorbei sein möge, um schließlich mit dem Schlussakkord wie ein Sandsack nach hinten auf den Boden zu fallen. Ich habe mir dermaßen den Steiß geprellt, dass ich es noch viele Tage danach spüren konnte. Die Zuschauer johlten und klatschten und später an der Bar – natürlich immer noch in voller Montur – ergaben sich mühelos Konversationen mit Leuten, die vorher nicht eine Silbe mit mir gewechselt haben. Es ist merkwürdig wie Menschen auftauen, wenn sich der Gegenüber offensichtlich zum Horst machte und somit die Schamgrenze in den Wohlfühlbereich verschob, der vorher nicht da war. Neudeutsch würde man vielleicht von einem Icebreaker reden.
Als Clubprominenz fühlte ich mich nicht eine Sekunde und wusste auch, dass am nächsten Tag niemand mehr darüber reden würde, denn dafür werden zu viele Events im Stakkato durchgepeitscht, damit die Gäste später das Gefühl haben, das Maximum für ihre Knete bekommen zu haben.
Die englische Erstpressung der Peer Gynt Suiten mit dem Decca Wide (Silver) Band Label gehört zu den gesuchtesten LP’s überhaupt. Und in der Tat ist die Interpretation unter dem Dirigat Fjeldstad’s ein Erlebnis. Die LP gehört auch klanglich zu den besten Decca’s der 2000-Serie. Das US-Pendant auf dem LONDON-Label (CS-6049) ist ebenbürtig, zumal diese LP’s zeitgleich mit den Decca’s im gleichen Presswerk entstanden. Die Philosophie mancher Sammler, die Decca’s seien den LONDON’s vorzuziehen, kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt einen erheblichen Preisunterschied zwischen den beiden Ausgaben und wer primär Wert auf die Musik und den Klang legt, kann bedenkenlos zur günstigeren LONDON greifen, aber: die 2012 erschienene ORG 110 schlägt die „olle“ SXL-2012 und auch die CS-6049 in allen Disziplinen. Sie klingt luftiger, zeichnet besser durch und hat auch in Sachen Dynamik die Nase vorn.
Edvard Grieg – Peer Gynt, Fjeldstad/LSO
Decca SXL-2012, Wide Band Label, Stamper Matrixes: 2E/2E
England 1958
Original Recordings Group ORG 110 – 2 LP, 45RPM
USA 2012
Als meine Tochter in den USA arbeitete, sahen wir uns verständlicherweise sehr, sehr selten und eines Tages beschlossen wir, Sie zu besuchen um anschließend zusammen eine Woche Urlaub zu verbringen. Die Wahl fiel auf Jamaica. Meine Frau flog mit unserem Sohn nach Orlando, während ich noch arbeitstechnisch gebunden war. Wir verabredeten uns also in Montego Bay zu einem bestimmten Tag und da die Flüge aus Deutschland nicht mit jenen aus den USA synchronisiert werden konnten, landete ich mehrere Stunden vor meiner Familie. Am Flughafen gab es praktisch nichts, womit ich mir die Zeit hätte vertreiben können, außer einer kleinen Holzbude außerhalb des Gebäudes in der Nähe der Gepäckbänder. Dort saß eine Handvoll Einheimischer und natürlich lief Reggae, genauso wie man es sich vorstellt. Es gab kühles Bier und wir kamen ins Gespräch. Hey Mann, where you from Mann…10 CC’s Dreadlock Holiday lässt grüßen, dachte ich mir. Nach einer Weile des Kennenlernens tauten wir auf. Rauchzeugs machte die Runde und wir wogten im Rhythmus der Musik zwischen der Bierausgabe und unseren Stühlchen hin und her. Und da ich es einfach nicht lassen kann, habe ich mich erdreistet zu fragen, ob denn auch noch andere Musik verfügbar sei, natürlich nur kurzzeitig zum Runterkommen, um gleich wieder dem Reggae zu huldigen. Man will ja nicht anecken, nicht wahr? Und siehe da, es gab einen Schrammelsong aus dem Blues Brothers Streifen und John Lee Hooker sang Boom boom boom boom, How how how how ……wunderbar. Nach gefühlten 5 oder 6 Stunden tänzelten meine Begleiter und ich an die Gepäckbänder wo gerade die Koffer der Passagiere aus Miami ankamen. Meine Familie war regelrecht begeistert von meinen neuen Freunden, es kann aber auch sein, dass ich mir das nur einbildete. Hüstel, hüstel…..
Die Kollaboration von John Lee Hooker und der Boogie-Band Canned Heat macht richtig Spaß. Auf den ersten Titeln singt und spielt Hooker solo. Die Stimme und seine Akustik- und E-Gitarre sind sehr direkt abgenommen, die Stereo-Abmischung ist ein wenig phantasielos (Gesang links, Gitarre rechts oder umgekehrt), was aber die Freude am Hören nicht trübt. Starten Sie mit dem „Alimonia Blues“ und sie werden augenblicklich wissen, mit was Sie es zu tun haben. Die E-Gitarre rechts „rotzt“ und schrammelt dermaßen dynamisch, dass man Gänsehaut bekommt und dann folgt die dunkle, sonore Stimme des Meisters auf dem linken Kanal. Das ist ein Bluestitel der unter die Haut geht. Ohne wirklich Kenntnis davon zu haben, bin ich davon überzeugt, dass Hooker’s E-Gitarre in einen alten Orange- oder Marshall-Röhrenamp gestöpselt war. Grandios. Die Uptempo(Boogie)-Nummern zusammen mit Canned Heat gehen in die Beine. Der Klang insgesamt ist vollmundig und saftig.
Hooker `N Heat
Liberty LST-35002 – 2 LP – Stamper Matrixes: A-1, B-2, C-2, D-1
USA 1971
Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, arbeitete ich in der Vergangenheit eine Weile lang in Atlanta/Georgia und unternahm von dort aus viele Erkundungsfahrten quer durch die USA, machte eine längere Zwischenstation in Anaheim, wo ich begann den Moloch L.A. zu hassen (besonders wegen des abartigen Straßenverkehrs), sowie in Phoenix/Arizona und Myrtle Beach/South Carolina. Immer zog es mich zurück nach Buckhead, dem Herzstück Atlanta’s. In den Straßen hörte man am Wochenende Musik von Allem was Rang und Namen hatte, natürlich auch „Hot ’Lanta“ von den Allman Brothers, quasi die Rockhommage an Atlanta. In der Nähe der luxuriösen Apartments, in denen ein gewisser Elton John öfter residierte (natürlich sein Eigentum) befand sich ein unscheinbarer Laden mit dem Namen „Hot wax“ – natürlich war ich dort Stammgast und habe so manches Schätzen nach Hause getragen, auch exotisches lateinamerikanisches „Zeugs“. Zu eiskaltem Budweiser konnte ich dort stundenklang in Kisten wühlen und die Zeit vergessen. All das fällt mir wieder ein wenn ich die Musik des Buena Vista Social Clubs höre. Und natürlich auch meine Exkurse privater Natur: kurz bevor sich bei mir die weit verbreitete Südstaatenlethargie einstellte, kristallisierten sich zwei Menschen als gute Freunde heraus; der eine war gebürtiger Japaner und hatte drei Sushi-Restaurants in der Stadt, der andere war Chinese und betrieb in einem Einkaufszentrum das weltbeste China-Restaurant. Ever. Jeden Abend gegen 21.30 Uhr setzte er sich in seinem Lokal an einen Flügel und begann vor den verdutzen Gästen klassische Stücke zu spielen. Da ich mich während dieser Zeit hauptsächlich mit chinesischem Essen und rohem Fisch ernährte, kam ich in die glückliche Lage, nie etwas für mein Essen zahlen zu müssen - ich war sozusagen automatisch eingeladen. Dafür revanchierte ich mich bei meinen beiden Freunden mit dem einen oder anderen Drink, den ich ausgab, wenn wir uns am Wochenende regelmäßig verabredeten und durch Buckhead streiften. Der Chinese, der Japaner und der Deutsche. Das Trio Infernal auf Tour sozusagen. Unsere Absacker nahmen wir fast immer im „Havanna Club“, einem kubanischen Laden mit begehbarem Humidor und Live-Bands. Manche davon waren richtig klasse und es herrschte immer ausgelassene Stimmung in einer Luft, die Rum- und Zigarrenrauchgeschwängert den einen oder anderen Schweißtropfen fließen ließ. Kubanische und lateinamerikanische Rhythmen waren angesagt, etwas Anderes lief dort nicht. Warum auch?
Manche der männlichen Besucher behielten ihre weißen Hüte auf, während sie die Damen elegant über das Parkett führten, je nach Rum-Pegelstand aber auch mal eher schubsten. Wenn ich Musik vom Buena Vista Social Club auflege, sehe ich sie vor mir, die Tanzpaare und kann fast wieder diese Luft riechen.
Ry Cooder hat die alten Recken bei uns etwas bekannter gemacht. Er produzierte auch diese Doppel-LP, auf der sein Sohn Joachim mitspielt. Gemastert hat mal wieder Bernie Grundman. Schon der Opener „Chan Chan“ lässt niemanden kalt. Diese Stimmen und die weichen Gitarren, der tragende Bass, die Percussion und gegen Ende diese unwiderstehliche Trompete – das macht wirklich Spaß. Das Album ist extrem gut aufgenommen und kürzlich erschien ein weiteres Re-Issue, welches erneut von Bernie Grundman gemastert wurde – es klingt im Vergleich zur älteren Ausgabe identisch. Unbedingt kaufen!
Buena Vista Social Club
World Circuit Records
1997 Deutschland
1998 USA (Classic Records)
Zu dieser Einspielung wurde schon alles mannigfaltig gesagt und geschrieben. „Take Five“ dürfte mittlerweile weltbekannt sein, es gibt unzählige Re-Issues dieses Klassikers als 33RPM und 45RPM-Ausgaben. Die Original Columbia auf dem „6-eye“-Label bietet authentischen Klang, der nicht durch Re-Mastering hochpoliert wurde. Paul Desmonds Saxofon klingt voll und sonor, die Drums (obwohl einseitig abgemischt) haben das richtige „Gewicht“, der Bass ist warm und voll und Brubecks Pianoläufe kommen sehr realistisch. Wenn Sie ein sauberes Exemplar erwischen, greifen Sie zu. Die Musik ist auch etwas für Jazz-Hasser. Hier und da kommt die Quirligkeit eines Jagdhundes durch, der in seinem Vorwärtsdrang von einem langen Gummiband gebremst wird. Schließt man die Augen beim Hören und stellt sich eine Perspektive wie aus einer Drohne vor, kann man sich ganz leicht auf die Lower East Side in Manhattan beamen, angefangen von den etwas grau-kühlen Bauten unterhalb der UN nach Süden, über Noho nach Soho, wo es bunter und lebendiger wird; vielleicht ein Straßenmusiker oder mehrere, die ihr Können vor einem der tagsüber geschlossenen Clubs zeigen und dann unten herum auf die West Side wieder hoch zum Washington Square, über die Flohmärkte in die unzähligen, reichlich verstaubten, mit schwarzer Fassade wie Monumente aus einer anderen Zeit verzierten Läden, deren Angebot aus allerlei Nutzlosem, Klamotten, Militaria oder einem schnellen Snack aus der Hand besteht.
Diese kurze Strecke hat etwas merkwürdig Lebendiges und Morbides zugleich; etwas Zeitloses auch, wenn man die Umgebung auf sich wirken lässt. Mir fällt der Spruch ein: der Riese wankt, aber er fällt nicht. Jederzeit könnte die Stimmung kippen, tut sie aber nicht. All das kann man vor seinem geistigen Auge sehen wenn man „Take Five“ hört. Auch ohne Wein oder Rauchzeugs.
The Dave Brubeck Ouartet – Time Out
Columbia CS 8192 – “6-eye”-Label
USA 1959
Noch ein Schlachtross, welches nicht tot zu kriegen ist, egal wie oft es verschlimmbessert wurde mittels Digital-Remastering oder anderen Kunststückchen. Ich weiß nicht mehr genau, wann mir dieses Doppelalbum (Re-Issue von Analogue Productions) „zulief“ – Das Cover ist ein normales Einschubcover, in welchem die beiden LP’s stecken, die mit 45RPM laufen. Gemastert wurden Sie von George Marino in Sterling von den Original Analog-Mastertapes. Im Vergleich zu den vielen „Normalpressungen“ kommt Ray Browns Bass knorriger, Ed Thigpen’s Drums klingen feiner (besonders das Hi-Hat und das Becken), sowie das Piano des Meisters dynamischer und in den hohen Tönen etwas klarer. Die Dynamik ist superb.
Die langsamen Nummern gefallen mir nicht ganz so gut wie die Uptempo-Stücke, aber das ist Geschmackssache. Man wähnt sich in einem dieser US-Clubs mit den 2-er Tischen im Halbdunkel und vielleicht auch Plüsch an der Wand. Auf der Bühne mühen sich allabendlich drei Musiker ab, die mal mehr und mal weniger Aufmerksamkeit des Publikums genießen, welches sich rauchend und trinkend in den Sesseln räkelt oder miteinander tuschelt; leichtes Gläserklirren im Hintergrund und dezent umherlaufende Bedienungen, die ihre Tablets einhändig durch den Saal balancieren. Hier und da ruft jemand: „Spiel mal „Honeysuckle Rose“ oder „You’re so good…“. Die langsamen Stücke würden perfekt zu Edward Hoppers „Nighthawks at the Diner“ passen. Bloß nicht aufwühlen, der Tag war schon hart genug. „We get requests“ klingt in keiner mir bekannten Pressung wirklich schlecht, aber wer das Optimum will, muss zur 45-er greifen.
Oscar Peterson – We get requests
Verve Records V6-8606, Analogue Productions APLPV8606-45N, 2 LP, 45RPM
USA 2016
Die LP erschien 1958 in den USA und 1960 in England als SXL-2062, wobei beide Veröffentlichungen aus demselben Decca-Presswerk in England stammen – nur eben mit anderen Labels. Dem Glaubenskrieg unter den Audiophilen, welche LP’s denn nun besser klingen, schließe ich mich nicht an. Ich baue da auf meine Erfahrung und die besagt, dass ich bei keiner SXL oder London eklatante Unterschiede zur jeweils anderen Ausgabe höre – von unterschiedlichen Stamper-Matritzen einmal abgesehen. Das Ballet „Ma Mere l’Oye“ wurde 1911 in Paris uraufgeführt, nachdem Ravel es orchestrierte (zunächst gab es das Stück nur für Klavier). Ein Kritiker schrieb hierletzt: Ravel taucht seine Märchen in eine bizarre Klangwelt von fast überirdischer Schönheit. Das Stück ist in der Tat abwechslungsreich und gespickt mit klanglichen Highlights des gesamten Orchesters. Die Musik fließt organisch, fast zeitlos.
Die Klangqualität der CS 6023 ist frappierend und selbst weniger klassikaffine Hörer können damit eine Menge Freude haben. Sparen Sie sich das Aufgeld für die SXL-2062 und greifen Sie zur London, wenn Ihr Interesse geweckt sein sollte.
Ravel – Ma Mere l’Oye – Ernest Ansermet/OSR
London Records – CS 6023 – Stamper Matrixes: 1E / 1E
England 1958