Oft liest man im Zusammenhang mit Japan die Ausdrücke „New Wave“ und „Synth Pop“. Das klingt ein wenig beliebig, wenn man die Armada an neuen Bands dieser Ära anschaut; die Eintagsfliegen stellen die Mehrheit, Substantielles suchte man meist vergeblich. Zumindest für mich waren die Achtziger der Beginn einer langen Durststrecke, da wirklich neue Bands kaum mitreißen konnten, Ausnahmen bestätigen da die Regel. Britpop und ähnlich artifizielles Gesäusel waren nicht mein Ding. Ich habe nichts gegen Mainstream oder gut gemachten Pop. Wenn ich jedoch das Gefühl bekomme, dass ich alles schon irgendwie einmal gehört habe und so gut wie nichts hängenbleibt, kann etwas nicht stimmen. Das ist absolut subjektiv, also legen Sie die Steine wieder beiseite, die Sie gerade auf mich werfen wollten. Einige Bands erfanden sich gar neu. Bestes Beispiel waren Ultravox. Ich sah die Band in der ersten Formation live in Frankfurt in einem relativ kleinen ehemaligen Kinosaal. Da waren sie ziemlich krawallig und überall lugte der Punk durch. Aber Songs wie „I want to be a machine“ hatten mich gepackt und verziehen so manches andere. Als Midge Ure zur Band stieß wurden sie poppiger und verdienten erstmals richtig Geld, Ultravox war das jedoch nicht mehr. Oder die Talking Heads, die zu jener Zeit hochgespült wurden. Das war auch eine jener Bands die im CBGB’s in Manhattan ihre ersten Auftritte hatte. Ich verstand den Hype um die frühen Alben nie so richtig, von einzelnen Songs einmal abgesehen, aber David Byrne war ein Sänger der polarisierte. Ich lief ihm mal in Manhattan über den Weg und bin fast erschrocken wie zierlich dieser Mann ist. Bowie sah ich dort auch eines Tages auf der 5th Avenue mäandern und es ist schon merkwürdig wie sich eine verankerte (Körper-)Größe im Gehirn festsetzt, bis man die Person leibhaftig trifft. Die Wave-Ära hat uns auch sehr viele unsympathische Truppen kredenzt. Ich fragte mich immer: wozu? Nonkonformismus als Attitüde? Wenn schon dann bitte stilvoll!
Wie dem auch sei: eine der Ausnahmen war die Band „Japan“ um Gitarrist und Sänger David Sylvain. Die tauchen in keiner Liste der „besten New Wave-Bands“ auf, waren jedoch im Kontext des Gesagten etwas Besonderes, wenn auch von Kritikern nicht hoch gelobt. Spätestens seit dem 1979 veröffentlichten Album „Quiet Life“ verstummte die Kritik jedoch und Japan änderten ihren gitarrenlastigen Stil. Keyboards wurden prominenter eingesetzt und es entstanden einige magische Stücke. „Tin Drum“ war der Schwanengesang der Band, die sich zwar noch auf dem Live-Album „Oil on Canvas“ vermeintlich geschlossen zeigte, jedoch bereits entzweit war. „Tin Drum“ ist exotisch, verwendet orientalische Klänge mit Assoziationen chinesischer Weisen und ist perfekt aufgenommen. Sylvains dunkel timbrierter Gesang kommt warm und voll – er steht gefühlt ein paar Meter vor der Band. Läufe auf dem Fretless-Bass, Synthesizer-Sprengsel und die gute Percussion-Arbeit von Steve Janssen ziehen den Zuhörer in den Bann. Stücke wie „Ghost“ oder „Sons of Pioneers“ gehören für mich in den Olymp – musikalisch und klanglich. Es ist sehr schwierig diese LP als wirkliche Erstpressung (A1, B1) zu bekommen, aber da ich es geschafft habe, ist es nicht unmöglich. Ich habe noch eine deutsche Pressung auf dem rot/grünen Virgin-Label, die gar nicht schlecht klingt. Sie verkürzte mir die Wartezeit auf eine englische A3/B3 und schließlich die A1/B1.
Das ebenfalls erhältliche Re-Master aus den Abbey Road Studios (2 LP‘s 45RPM) ist klanglich ein absolutes Sahneteil und sogar noch besser als die UK-Erstpressung. Das sage ich nicht oft über Re-Master LP’s. Hier aber trifft es zu. Später sollte Sylvain noch leicht verkopfte Solo-Werke abliefern (Sehr gut: „Secrets of the Beehive“ und „Gone to Earth“), Jansen und Barbieri gründeten die „Dolphin Brothers“ von denen ich aber nur ein Album kenne, auf dem es exakt einen ansprechenden Song gibt: „Catch the fall“ – der Rest krankt an kompositorischer Armut. Der Klang dagegen ist sehr gut. Geben Sie „Tin Drum“ eine faire Chance, es könnte eine lange Liebe werden.
Japan – Tin Drum
Virgin - Silver Label – V2209 – Stamper Matrixes: A1, B1
England 1981 – noch druckvoller: Re-Master aus den Abbey Road Studios auf 45RPM
Humble Pie waren mir eine ganze Weile lang nur von einer Single bekannt, die ich besaß: „Big Black Dog“. Es war eine der scheußlichen deutschen A+M-Pressungen und die lief dann auch noch bei mir auf einem Telefunken „Mr.Hit“ mit erbärmlichen Gleichlaufschwankungen. Noch schlimmer jaulend klangen nur noch „Yellow River“ und „San Bernadino“ von Christie oder „The Stealer“ von Free. Als ich einige Zeit später das Album „Highway“ hatte, entdeckte ich, dass die Single anders abgemischt war - auf der hörte man beim Intro ein kurzes Solo von Paul Kossoff, welches auf der LP-Version schlicht und einfach fehlt.
Nun begab es sich, dass wir zur Abschlussfahrt unserer Schule nach London reisten – damals standesgemäß mit dem Zug. Die Überfahrt von Ostende nach Dover mit dem Hoovercraft war das einzige Highlight der Fahrt. Unser Klassenlehrer hatte größte Mühe, den Flohhaufen an Schülern und Schülerinnen zusammenzuhalten und ich ging in Dover kurzzeitig „verloren“. Immerhin erklomm ich den richtigen Zug, trieb dem Lehrer aber Angstschweiß auf die Stirn, weil er bei der Abfahrt des Zuges nicht wusste, ob ich an Bord bin oder nicht.
Ich saß fröhlich im 1.Klasse-Abteil und wurde bei der Fahrscheinkontrolle postwendend in Richtung 2.Klasse geschickt, wo man mich schon „freudig“ erwartete. Natürlich hatte dies einen Tag Hausarrest im YMCA nähe Hyde-Park zur Folge. Ein Klassenkamerad – er hieß Norbert, wurde aber nur „Hoss“ genannt, weil er dem Bonanza-Darsteller zum Verwechseln ähnlich sah – hatte das gleiche Schicksal, weil er an der Victoria-Station meinte, das Gleis wechseln zu müssen und der Klassenlehrer im Spurt gerade noch verhinderte, dass er in eine falsche „Tube“ einstieg. So saßen wir in unserem Zimmer, während der Rest der Truppe dem Tower einen Besuch abstattete und vertrieben uns die Zeit mit Musik. Hoss hatte ein Kassettengerät mitgeschleppt und ich hörte das erste Mal „Four day Creep“ in der Live-Version. Danach gleich „You’re so good for me“ von der „Smokin’“ und viele andere Sachen – die Zeit verflog.
Nachts hatten vier von uns das dringende Bedürfnis, dem Hyde-Park einen Besuch im Mondschein abzustatten und wir kletterten aus dem Fenster über eine Brüstung hinaus in die Londoner Nacht. Als wir zurückkehrten lynchte Hoss durch seine Leibesfülle den Rahmen eines Fensters und dies blieb natürlich nicht unentdeckt. Warum der Klassenlehrer erneut auf mich deutete, war mir schleierhaft – aber Kameraden verrät man nicht.
Also war wieder Musik hören angesagt und weil Hoss keinen Bock auf Madame Tussauds hatte, blieb er ebenfalls auf der Stube. Vielleicht war es auch ein kleiner Dank dafür, dass ich ihn nicht ans Messer lieferte. Und da war es dann: „I walk on gilded splinters“, über 20 Minuten Spielzeit und nicht eine Sekunde langweilig. Ich habe damals nicht wirklich viel von London gesehen, aber das war egal. Wo auch immer Du jetzt bist, mein Bonanza-Held: Cheers…
Sterling und Bob Ludwig, Analogherz was willst Du mehr? „Performance - Rockin’ the Filmore“ erfordert ein wenig mehr Toleranz bei der Beurteilung des Klangs. Das Fillmore East war nicht gerade bekannt als Ort guter Akustik, aber wir haben es hier mit einem Rockkonzert zu tun – und wie! Es gibt tolle Live-Alben, die Spaß machen, auch welche die weitgehend unbekannt sind, wie z.B. von der Michael Stanley Band, es gibt energetische Live-Alben wie das von Thin Lizzy und mit tonalen Einschränkungen auch von Motorhead, es gibt jede Menge mittelmäßige Live-Alben und es gibt eines, das sich ins Gehirn brennt: „Performance“. Steve Marriott, Peter Frampton, Greg Ridley und Jerry Shirley spielten sich die Seele aus dem Leib; das bereits erwähnte und überlange „I walk on gilded splinters“ ist ein Monument wie kein Zweites, vom zarten Anfang hin zum tonnenschweren Tornado und zurück zu bluesigen Teilen, um kurz darauf wieder den Sturm neu zu entfachen. Dafür wurden Live-Rockkonzerte erfunden. Die Urbesetzung war hier auf dem Zenit. „Performance“ ist für mich das beste jemals aufgezeichnete Rockkonzert. Als Frampton und Marriott sich verkrachten und getrennte Wege gingen, stieß Clem Clempson zu Humble Pie und die LP „Smokin’“ entstand. Klanglich etwas enttäuschend, war das Album musikalisch eine Wucht. „I wonder“ ist einer der stärksten Rocksongs, die ich kenne. Zusammen mit „Burn it down“ von den Streetwalkers (und einigen anderen Pretiosen) hat dieses Stück einen festen Platz in meinem privaten Olymp.
Humble Pie – Performance - Rockin’ the Fillmore
A&M - custom label – SP 3506, Stamper Matrixes: T-1, 1A, T-1, T-1 STERLING RL
Ich denke noch einmal zurück an eine (weitere Autofahrt) in Ghana. Auf halber Strecke merkten wir, dass der Kühler des Mercedes 200 D Wasser verlor. Ich dachte an die Ironie des Schicksals; wir steckten fest im Regenwald und hatten doch kein Wasser. Die Straße, die keine war (sondern eher ein Weg in fürchterlichem Zustand), führte in Wellen Richtung Süden und immer wenn der tiefste Punkt überwunden werden musste, war es angeraten, mit einem langen Holzstab die Pfütze zu überprüfen, die man überqueren wollte. Es hieß, es seien schon Autos in solchen Löchern verschwunden. Wir waren dringend auf einen Eimer oder eine große Plastikflasche angewiesen; also Utensilien, die man nicht immer zwangsläufig mit sich führt. Wir waren alleine, mutterseelenalleine. Mir schoss ein Song in den Kopf, der wie die Faust aufs Auge passte: “Rudy” von Supertramp: „Rudy's on a train to nowhere, halfway down the line….”.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam - wie aus dem Nichts - ein Mann im weißen Gewand aus dem Unterholz. Wir bedeutetem ihm hektisch, dass wir Wasser brauchen und zwar in einem Behältnis. Er schaute uns eine Weile lang wortlos an und verschwand ins Nirgendwo. Wir sahen uns bereits im Unterholz kampieren, als der Mann tatsächlich nach gut 2 Stunden zurückkam. Er hatte einen mit Wasser gefüllten Eimer mitgebracht, den er uns überließ. Wir hofften, dass der Riss im Kühler nicht allzu groß war und begannen die Weiterfahrt. Meine Aufgabe war es, den Eimer einigermaßen gerade zu halten, so dass kein Wasser herausschwappt, wenn es mal wieder durch ein Schlagloch ging. Ständig hielten wir an, um Wasser nachzufüllen. Mit reichlich Verspätung erreichten wir Kumasi und sobald wir die Motorhaube geöffnet hatten, waren wir von Dutzenden Ghanaern umringt, die alle gute Vorschläge hatten, wie wir unserem Problem zu Leibe rücken könnten.
Das Original der „Crime of the Century“ erschien unter der Katalognummer AMLS 68258 in England und klingt als frühe Pressung schon sehr gut. Als Half-Speed-Nachpressung ist dies eine der wenigen MFSL’s auf welcher der Bass nicht vermurkst wurde. Der Sound ist klar und kräftig, alle Details sind da ohne analytisch zu wirken. Es gibt unzählige Re-Issues dieses Titels, ominöse 180-Gramm-Pressungen gibt es auch zuhauf. Für relativ kleines Geld lässt sich eine frühe englische Pressung erstehen, auf welcher ich im Vergleich zur MFSL nicht allzu viel vermisse. Wer das Optimum will muss aber zur 1-005 greifen, die noch zu einigermaßen erträglichem Kurs zu ergattern ist.
„Crime…“ ist für mich das beste Supertramp-Album, gefolgt von „Crises….“. Manchmal wünsche ich mir nur, dass die Tontechniker das Schlagzeug ein wenig prominenter abgemischt hätten, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Supertramp – Crime of the Century
A+M Mobile Fidelity Sound Lab (MFSL) 1-005
USA 1978
Die LP ist Teil meiner Beute aus Phoenix/Arizona und ich weiß noch recht genau, dass ich bei diesem zweiten, etwas längeren Aufenthalt das Glück hatte, für eine Weile einen Schlüssel zu einem Mega-Apartment zu besitzen. Der stammte von einem Paar, welches ich anlässlich eines Dinners kennenlernen durfte. Wir haben uns etwas später bei einem Konzert der „Drifters“ in einem Areal draußen vor der Stadt wieder getroffen und ich dachte mir später, das Leben ist voller Zufälle und glücklicher Fügungen. Der Konzertort war bizarr gewählt, denn es war eine jener Residenzen für ältere Menschen, die sich dort Apartments kaufen konnten und zugleich die komplette medizinische Versorgung mit erworben. Es gab eine eigene Bäckerei, eine Bowlingbahn, Restaurants und eigentlich alles was eine Kleinstadt auch zu bieten hat. Autos waren verboten, die Fortbewegung fand mittels Elektro-Golfkarts statt. Zu jener Zeit waren die „Drifters“ auch schon im fortgeschrittenen Alter und der Veranstalter meinte wohl das passt ganz gut.
Meine Gesprächspartner wollten sich vor Ort schlau machen, ob die Residenz für sie später in Frage kommt; ich war nur dort, weil ich in einer Bar in Phoenix vom Konzert der „Drifters“ erfuhr. Für die Beiden stand wieder eine der regelmäßigen Touren an, weil sie sämtliche Tankstellen der USA mit Hubba-Bubba-Kaugummis und anderem Süßkram belieferten. Der Sicherheitsmann, den Sie sonst engagierten, war nicht abkömmlich und so drückten sie ihre Sorge darüber aus, dass ihr unbewachtes Apartment ein idealer Ort für Einbrecher sein könnte und da sie offensichtlich der Meinung waren ich sei Keiner, boten sie mir die Schlüssel für eine volle Woche an, was sie sehr beruhigen würde, wenn ich denn ihr Angebot überhaupt annähme. Ich weiß noch wie ich mit scharfem Blick, aber unbemerkt das Gelände nach der versteckten Kamera absuchte. Aber es war alles echt. Das galt sogar für den Champagner, der im Riesenkühlschrank der Wohnung auf mich wartete. Er schmeckte ausgesprochen gut. Natürlich habe ich heimlich 2 neue Flaschen dort deponiert, bevor ich mich von den Heimkehrern verabschiedete.
In einem Regal im Living Room standen mehrere LP’s. Die Stereoanlage versteckte sich in einem Wandschrank und ich konnte die eine oder andere Scheibe anhören. Darunter befanden sich auch ein paar John Mayall-LP’s. Da ich während meiner Apartment-Woche ständiger Gast zweier Plattenläden in der Nähe des Camelback Mountain war und in einem immer eine Kiste mit der Aufschrift „New Arrivals“ stand, war meine Mission klar. Und ich hatte erneut Glück……
„The turning point“ ist eine weitere Sahnescheibe, die von Bob Ludwig in Sterling gemastert wurde. Ein Live-Konzert, mitgeschnitten im Fillmore East und das ist deshalb erstaunlich, weil der Klang superb ist. Im Vergleich zur „Performance“ von Humble Pie wurden hier die Mikros anders platziert, was dazu führte, dass alles ein wenig direkter – oder besser gesagt – eher im Nahfeld – angesiedelt ist. Man hört natürlich die Dimensionen der Halle und die kleine Besetzung scheint etwas weit voneinander entfernt zu sitzen bzw. zu stehen. Es gibt unzählige Alben von Mayall, bessere und schlechtere, gut klingende und solche, die akustisch eher Mittelmaß sind. „The turning point“ ist auf dem Punkt. Mayall hatte mit „Room to move“ gar einen veritablen Hit gelandet, was sicher dazu geführt hat, dass die LP sich einer weiteren Verbreitung erfreute als andere Alben. Klasse.
John Mayall – The turning point
Polydor 24-4004 red label – Stamper Matrixes: 1-B1-1, 1-B-1-11, Sterling RL
USA 1969
Eine Autofahrt von Arizona nach Kalifornien führt zwangsläufig durch die Wüste. Ich war anfangs amüsiert über die Warnschilder, welche mahnten, genügend Wasser mitzunehmen. Der Weg ist lang und der Weg ist einsam. Es wundert mich nicht, dass es so gut wie keine Tankstellen gibt – was will jemand schon an einem solch gottverlassenen Ort? Faszinierend waren die Hundertschaften an Windrädern und ich dachte es muss ein Höllenjob sein, die Dinger zu warten. Der Radioempfang war nicht der Rede wert und wenn man keine rechte Wahl hat, hört man eben die Station mit dem stärksten Sendesignal. Ich habe den „Crooner“-Sender erwischt und konnte mich an Songs von Bobby Darin, Mel Torme und dem Rat Pack erfreuen. Mittendrin lief ein traurig anmutendes Stück, gesungen von Frankie-Boy. Ich verstand so etwas wie „Indigo“ und mir schien, dass es eine Monoaufnahme war.
Aber der Gesang war himmlisch, ganz anders als die Swing-/Bigband-Nummern. Ich wollte gleich nachforschen, wenn ich jemals in Anaheim ankommen würde. Dort warteten schon ein paar Kollegen auf mich und irgendwann klingelte das Mobiltelefon. Ich wurde gefragt wo ich denn sei. Natürlich hatte ich mich verfahren. Das war ganz einfach für mich. Wer schon jemals in den USA die Interstates befuhr und von der Einöde in die Nähe der City Limits kommt, kennt die vielen Möglichkeiten der falschen Turns. Ich hatte jedenfalls keine Ahnung wo ich war und bekam am Telefon gesagt, ich soll das nächste Schild vorlesen. Da ich gut gelaunt war und den Schalk im Nacken hatte, antwortete ich wahrheitsgemäß: „McDonalds“……Ich glaube, die US-Kollegen denken noch heute, dass alle Europäer Kleinstädter sind, die in der weiten Welt scharenweise verloren wären, wenn Ihnen nicht die smarten Amerikaner den Weg weisen würden.
Es war nicht ganz so einfach herauszufinden, welchen Song ich da in der Wüste hörte. Aber Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Und dann musste es natürlich das früheste Original sein und das kam auf 2 kleineren Scheiben auf den Markt, denn Sinatras 3. Studioalbum erschien auf zwei getrennten 10-inch EP’s und ich kann nur vermuten, dass sich Capitol mit niedrigeren Preisen pro EP höhere Verkaufszahlen erhoffte. Heute mag es etwas verwundern, aber seinerzeit war eine LP noch eine richtige Investition für Musikliebhaber.
Sinatra erklingt räumlich weit vor dem Nelson Riddle Orchestra und es ist die Stimme, die hier punktet. Das Programm besteht aus Balladen mit einer teilweise rührenden Traurigkeit. Die Instrumentalbegleitung kann man vernachlässigen, zumal bei etlichen Songs im Hintergrund der Streicherzuckerguss – zumindest für meinen Geschmack – etwas zu viel des Guten ist. Schwamm drüber, denn auf diesen EP’s hört man einen wirklich guten Sänger Sinatra und die Aufnahme lässt den Zuhörer quasi das Zäpfchen in der Kehle „sehen“. Das ist grandios aufgenommen und deshalb eine Top-Empfehlung für alle, die schon immer mal wissen wollten, warum Frankie als Talent galt; nicht nur als Crooner mit Bigband-Swing.
Aus den schier unzähligen Aufnahmen Sinatra's fällt mir spontan noch ein sehr sentimentales Stück ein, welches mich regelmäßig packt: "Bang, Bang (My Baby Shot Me Down)". Das Original stammt von Sonny + Cher und später adaptierte es Nancy Sinatra sehr erfolgreich (Quentin Tarantino nutzte das Stück als Opener zu seinem Film "Kill Bill Vol.1" von 1971). Wurde der Text ursprünglich aus der Sicht einer Frau geschrieben, vertauscht Frankie die Geschlechter und aus "he shot me down" wurde "she shot me down". Sinatra trifft hier einen Ton, der sehr glaubwürdig die posthume Enttäuschung über eine verlorene Liebe vermittelt. Es sind ganz einfache Worte, eingebunden in einen kurzen Text und doch spürt man die tiefe Trauer sehr deutlich. Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass er nicht in Hoffnungslosigkeit versinkt. Auch wenn man nicht ganz verleugnen kann, dass es eher triviale Musik ist, bedarf es eines großen Künstlers, um aus wenig so viel zu machen. "Now she′s gone, I don't know why Until this day, sometimes I cry, She didn′t even say goodbye, she didn't take the time to lie. Bang bang, she shot me down, Bang bang, I hit the ground, Bang bang, that awful sound, Bang bang, my baby shot me down (Jetzt ist sie weg, ich weiß nicht warum bis zu diesem Tag, manchmal weine ich, Sie hat sich nicht einmal verabschiedet, sie hat sich nicht die Zeit genommen zu lügen. Bang bang, sie schoss mich nieder, Bang bang, ich schlug auf dem Boden auf, Bang bang, dieses schreckliche Geräusch, Bang bang, mein Baby schoss mich nieder).
Frank Sinatra – In the wee small hours
Capitol – H1-581, H2-581 – MONO, 2 EP’s (10 inch)
USA 1955
Zusammen mit meiner Frau habe ich Duncan Browne mit seiner Band Metro als Vorgruppe der Dire Straits erleben dürfen und hätte mir gewünscht, dass sie einfach weiterspielen. Ich weiß noch, dass ich mir gleich eine LP von Ihnen holen musste und diese rauf und runter dudelte.
Als ich irgendwann einmal Neuling im Büro einer Transportfirma war, musste ich die Frondienste leisten, die Neue nun mal zu leisten haben. Unter anderem waren dies die Fahrten zu Imbissen und Metzgern, um den Altgedienten ihr Mittagessen zu holen. Neben einer solchen Metzgerei in der Nachbarstadt befand sich ein kleiner Plattenladen und da Sommer war, stand die Tür offen. Ich blieb mit meinen Einkäufen stehen und hörte eine Weile zu. Wie ein Magnet saugte mich die Musik in den Laden, denn wenn ich gegangen wäre, ohne zu fragen was da lief, hätte mich das tagelang beschäftigt. Irgendetwas kam mir vertraut vor.
Es war „Streets of Fire“ - das bereits vierte Solo-Album Browne’s. Das „Intermezzo“ Metro war schnell Geschichte. „Streets of Fire“ hat es in sich. Browne an den Gitarren, Tony Hymas an den Keyboards, John Giblin am Bass und der begnadete Simon Philips an den Drums. Schon der Opener „Fauvette“ ist große Kunst, aber es kommt noch besser: das Titelstück reißt dermaßen mit, dass man mit offener Kinnlade dasitzt und staunt. Das ist Rockmusik aus anderen Sphären und vielleicht ist es kein Zufall, dass Metro mit den Dire Straits tourten; Browne spielt die Gitarre verdächtig ähnlich wie Mark Knopfler – wer war zuerst da? Die Henne oder das Ei? „Streets of Fire“ ist abwechslungsreicher als (fast) jede Dire Straits Platte, mit „Nina Morena“, dem Opener auf der B-Seite gibt es eine audiophile Perle par excellence obendrauf. Und die Performance von Simon Philips bestätigt mich in meiner Meinung, dass dieser Mann zu den besten Drummern der Welt zählt. Er zieht das Tempo an, verschleppt es wieder, gibt den Rhythmus vor und bildet mit Giblin ein Duo der Extraklasse, geradeso als seien die beiden telepathisch miteinander verbunden. Die LP gibt es spottbillig und sie klingt auch als deutsche Pressung sehr gut. Wer sie sich nicht holt, ist selber schuld. Ach ja, das Essen war kalt als ich zurück im Büro war. Natürlich war der Metzger Schuld. Ich hätte auch sagen können „beschweren Sie sich bei Duncan Browne“, dachte mir aber, das provoziert sicher längere und ergebnislose Erklärungsversuche.
Duncan Browne – Streets of Fire
Logo Records Logo 1016
England 1979
Temple Bar ist eine Kneipenstraße in Dublin. Trotz der Tatsache, dass dieses Areal eine Touristenhochburg ist, kann man dort eine schöne Zeit verbringen. Überall gibt es Live-Musik und im Sommer konkurrieren Bands in den Pubs mit den Straßenmusikern, die vor der Tür ihre Kunst feil bieten. Bei einem Gesangspärchen blieb ich eine Weile stehen. Er spielte Gitarre und sie beschränkte sich auf den Gesang. „Let no man steal your thyme“ hörte ich dort zum ersten Mal. Nein, das ist keine rein irische Musik, aber Dublin ist kosmopolitisch genug für Liedgut, welches weithin als Irisch/Englisch gilt. Ich erfuhr, dass es ein Song von einer Band namens „Pentangle“ war. Die waren bis zu diesem Zeitpunkt komplett an mir vorbeigerauscht. In meinem Enthusiasmus fragte ich die Beiden, ob sie auch Wünsche entgegennehmen würden. Im Tausch gegen zwei gerstenhaltige Getränke hatten wir einen Deal. Und weil das Wetter so unglaublich gut war, kam mir spontan der Gedanke an „Have you ever seen the rain“ von CCR. Ich nippte an meinem Glas, schaute in den Himmel und war in diesem Moment vorbehaltlos glücklich. Einfach so, auf der Straße, mit Fremden.
Meine Nachholstunden in Sachen „Pentangle“ waren vergnüglich, weil es doch eine veritable Anzahl guter Alben gibt und auch die Solosachen von John Renbourn teilweise richtig gut sind. Der Mann hat gar hier und da Großartiges geschaffen. Das erste Pentangle Album ist eine klangliche Granate und musikalisch top. Zum glasklaren Gesang von Jacqui McShee gesellen sich akustische Instrumente und ein fein aufgenommenes Schlagzeug. Die Musik ist eine Melange aus Folk und jazzigen Elementen. Das instrumentale „Waltz“ ist für mich der Höhepunkt der LP. Selbst wenn Sie meinen, mit der Musik wenig anfangen zu können, müssen Sie sich den Gefallen tun dieses Kunstwerk anzuhören, auf einer guten Pressung natürlich. Die LP klingt auch als Zweitauflage gut, diese erkennt man am Label mit der Weltkugel und dem Schiff (Seatraffic Logo) auf der einen Labelseite, die Erstpressung hat auf beiden Seiten weiße Labels und ein lilafarbenes Logo. Diese Platte ist ein Erlebnis allererster Güte und ein Muss für Jeden, der perfekten Klang zu schätzen weiß.
The Pentangle – The Pentangle
Transatlantic TRA 162 White Label Purple Logo – Stamper Matrixes: A2, B1 - England 1968
Caroline war eine Bedienung in einem Lindy’s in Manhattan in der Nähe des Times Square. Ich wohnte mit meinem Bruder † und einem seiner Kumpel im „Century Paramount“, einer bis zu dessen Renovierung durch Philippe Starck herunter gekommenen Absteige in der 46th Street. Als die beiden Mitreisenden nachmittags schlafen gingen, streifte ich durch die Stadt und landete am Spätnachmittag an einem der Tische im Lindy’s am Time Square. Meine Bedienung war Caroline; sie war auch Tänzerin Off Broadway wie ich später erfuhr. Die Stücke, die Off Broadway liefen waren teilweise hochspannend und wer nicht von vornherein auf bestimmte Sachen festgelegt ist, konnte am Time Square bei TKTS billige Resttickets erwerben. Ich tat dies einmal für eine Nachmittags-Matinee der Dreigroschenoper. 12 Dollar habe ich bezahlt.
Der Saal war höchstens zu einem Drittel gefüllt, die Musiker waren hinter einem Stoffvorhang verhüllt und saßen auf zwei Ebenen. Als dann der Protagonist an der Reihe war, der den Mackie Messer gab, begann meine Seele zu hüpfen. Da stand doch leibhaftig Sting; der Frontmann und Bassist von The Police. Off Broadway. Irre.
Aber zurück zum Lindy’s: je leerer der Laden wurde, desto mehr Zeit hatte Caroline, um mit mir zu quatschen. Da ich noch nicht allzu viel von Manhattan kannte und sie einfach Lust darauf hatte, bot sie mir an, mich abends ein wenig herumzuführen. Punkt 22 Uhr holte ich sie ab und wir nahmen ein Taxi zu ihrer Wohnung, wo sie verschwand, um sich ein wenig aufzubretzeln, während ich in einem Tex-Mex-Schuppen zwei Margaritas deren Bestimmung zuführte. Gegen 23 Uhr konnte es dann losgehen. Caroline und ihr Lebensgefährte (ich erfuhr später, dass er ein Tanzkollege war) zogen mich tief hinein in den Big Apple. Der Abend wurde unvergesslich. Nachdem wir aus einem Riesenladen mit lauter Musik nach draußen gespült wurden, sah ich Transvestiten in Federboas auf einer Schiffschaukel sitzen, die im Nieselregen auf der Ladefläche eines großen Trucks stand. Zuvor war ich in Kellern, in denen Menschen „Musik“ auf Gartenschläuchen zum Besten gaben und jene Transvestiten sportlich an Drahtzäunen hingen um Jedem, der dort entlang ging, sanft über die Haare zu wedeln.
Ich war mit den Beiden auch in einem Laden, der hauptsächlich hartes Zeugs spielte; Gang of Four war offensichtlich die Lieblingsband des DJ’s. Es liefen aber auch die Buzzcocks und ähnliche Kaliber. Es krachte und fetzte ultralaut. Mittendrin kam dann ein Song, der mich sofort packte. „Making plans for Nigel“ ist seitdem fester Bestandteil meines Musiklebens.
Die deutsche Pressung dieses Albums klingt hervorragend. XTC galten als die Intellektuellen der „New Wave“-Bands jener Zeit. Etliche internen Querelen und solche mit der Plattenfirma führten zusammen mit gesundheitlichen Problemen des Frontmanns Partridge dazu, dass XTC nur eine kurze Live-Karriere beschieden war. Einige Alben der Band waren recht unzugänglich und zu sperrig. Die beiden besten LP’s für mich sind „Drums & Wires“ und „Black Sea“, beide produziert von Steve Lillywhite. Auf „Drums & Wires“ befindet sich auch das schon eingangs erwähnte „Making plans for Nigel“, einer der besten Rocksongs aller Zeiten. Etwa die Hälfte der LP gibt das wider, was man unter „New Wave“ versteht und ist sicher nichts für Jedermann, die anderen Songs haben jedoch unbestrittene Genialität. Unbedingt vorurteilsfrei anhören!
XTC – Drums and Wires
Virgin 200917-320, Stamper Matrixes: A-1, B-1
Deutschland 1979
Vor der Modernisierung der so genannten „Autobahn“ zwischen Delhi und Agra brauchte man für die knapp 200 km ungefähr 5 Stunden. Für indische Verhältnisse war das relativ normal. Dass dort alles kreuz und quer fährt ist auch normal. Nähert man sich dann in Agra dem Taj Mahal, ändert sich das Straßenbild schlagartig. Die letzten 500-600 Meter bis zum Haupteingang legt man mit Elektrowägelchen zurück, Autos und Moto-Rikschas sind nicht erlaubt. Es herrscht eine herrliche Ruhe. Das wohl bekannteste Bauwerk Indiens ist definitiv eindrucksvoll. Alles wurde strikt geometrisch angelegt und wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die 4 weißen Türme nicht gerade stehen. Sie neigen sich minimal nach außen, damit sie im Falle eines Erdbebens nicht ins Grabmal krachen. Der Legende nach ließ der Großmogul Shah Jahan den Bau zum Gedenken an seine große Liebe Mumtaz Mahal errichten. Die Bauzeit betrug 17 Jahre bis zur Fertigstellung im Jahre 1648. Böse Zungen behaupten, Jahan ließ das Gebäude aus purer Angeberei errichten, was natürlich wesentlich unromantischer klingt als ein Liebesbeweis. Am Kartenhäuschen vor dem Taj Mahal hängt ein Schild mit den Eintrittspreisen. Einheimische zahlen erheblich weniger als Ausländer. Ich denke in Deutschland käme so etwas nicht so gut an. Mein indischer Reisebegleiter meinte dies sei kein Problem, da er beide Karten für uns kaufen würde. Mein Einwand, dass sich am Portal mit der Eintrittskarte für Einheimische sicherlich Gesprächsbedarf entwickeln würde, ignorierte er einfach. In der Tat wurde ich später genau bemustert, aber letzten Endes durchgelassen. Indischer Pragmatismus eben.
Als ich schließlich vor dem Prachtbau stand, musste ich unweigerlich an einen Musiker denken, den ich sehr mag. 1942 war das Geburtsjahr eines gewissen Henry Saint Clair Fredericks, der sich 1961 die Popularität indischer Musik und der eines der berühmtesten Gebäude der Welt zu eigen machte und fortan als Taj Mahal auftrat. Ob er dabei die übersetzte Bedeutung „Krone des Palastes“ im Sinn hatte, sei dahingestellt. Zweifelsfrei jedoch wurde er zu einem sehr bedeutenden Blues-Musiker. Auch kein schlechter Marketing-Trick mag man denken. Ich stelle mir gerade vor, unbekannte Künstler nennen sich fortan „Eiffelturm“, „Pentagon“ oder gar „Sagrada Familia“.
Das Original von „Recycling the blues…“ erschien 1972 in den USA auf Columbia Records. 2011 nahm sich ORG des Titels an und das Ergebnis ist sensationell. Mit „Kalimba“ auf der ersten Seite weiß man sofort um die Dynamik dieses Doppelalbums. Das Instrument knallt aus den Boxen, dass man mit offenem Mund staunt. Die Highlights für mich sind aber „Sweet home Chicago“ mit dem weiblichen Backgroundchor zum Anbeten, „Texas Woman Blues“ nur mit Bass und Gesang und das etwas längere „Gitano Negro“, welches Mahal als versierten Gitarristen ausweist. Die LP’s laufen mit 45 Umdrehungen, was der Dynamik zugutekommt. Leider ist das Album auf 2500 Exemplare limitiert, dennoch lohnt sich die Suche danach. Ebenso empfehlenswert ist das Album “Oh so good ‘N Blues” (Columbia KC 32600 von 1973). Es klingt warm und „geschmeidig“, Mahal’s Stimme hat Schmelz und dieses leicht raue Timbre. Die National Resonator-Gitarre tönt sehr natürlich und auf zwei Songs hört man die Pointer Sisters im Background singen. Die Platte ist auch als US-Pressung noch günstig zu haben und adelt jede Sammlung.
Taj Mahal – Recycling the Blues & Other related stuff
Original Recordings Group ORG 112
USA 2011
Das Original kam 1961 in den USA als Einzel-LP auf dem Vanguard Label auf den Markt. Ich habe ein US-Original (komischerweise als Doppel-LP) und auch das englische Pendant, welches etwas später veröffentlicht wurde, sowie das von Classic Records veröffentlichte Doppelalbum.
Die Songs of the Auvergne, arrangiert von Canteloube sind aus den dreißiger Jahren und werden in Occitane gesungen, einer regionalen Variante der französischen Sprache. Wenn man sich vorstellt, dass zu jener Zeit der 1.Weltkrieg vor gerade einmal 12 oder 13 Jahren endete und die Bemühungen um Normalität schon weitere 12 oder 13 Jahre später erneut erstickt wurden, darf man schon traurig werden, obwohl die Texte fast allesamt fröhlicher Natur sind und von der Landwirtschaft, Schafen und Eseln handeln. So wie Frau Davrath sie singt, haben sie eine fragile Schönheit, die es zu beschützen gilt. Man verwahrt sie regelrecht im inneren Schatzkästchen, an welches nur ausgesuchte Hände gelangen dürfen. Ich weiß noch wie ich manche der Melodien Revue passieren ließ, als ich zusammen mit einem Georgier und einem Türken auf dem Dach eines Hotels in Tiflis saß und in den Nachthimmel blickte.
Wir waren für eine Weile die einsamsten Menschen auf dem Planeten, denn wir konnten auf unbestimmte Zeit das Hotel nicht verlassen; draußen tobte ein Konflikt zwischen Truppen des amtierenden georgischen Präsidenten und jenen des Herrn Schewardnaze, der nach dem Zerfall der UDSSR in seine Heimat zurückkehrte und just jenen Posten begehrte, den jahrelang ein anderer bereits innehatte.
Mit der Versorgung haperte es auch und so kam es, dass wir da oben in unserem „Hotel California“ hockten und – statt des von den Eagles besungenen Rose-Champagners - hauptsächlich Kaviar, Toast und Vodka zu uns nahmen und in englischer Sprache in drei verschiedenen Akzenten über das Leben philosophierten.
„Eines Abends werde ich dir dieses lebendige Opfer darbringen, Und du wirst unseren ersten Kuss weihen. Jahreszeit der schönen Sehnsüchte und der brennenden Erde!“ Das ist eine der Strophen aus dem „Angebot an den Sommer“ aus den Liedern der Auvergne, die so weit weg von diesem Ort waren wie unsere Erde von Pluto, aber Tatenlosigkeit – zu welcher wir dort verdammt waren - sucht oft Trost in fliehenden Gedanken und seien sie noch so bekloppt.
Der von Analogue Productions neu aufgelegte Titel (APC 002) ist kein Doppelalbum, sondern eine Einzel-LP, quasi ein komprimierter Spiegel der ersten LP des Doppelalbums. Allerdings kann weder die US-Erstpressung, noch die englische Vanguard oder erst recht nicht die Classic Records-Veröffentlichung klanglich mit der APC 002 mithalten. Was auch immer Chad Kassems (Acoustic Sounds und Analogue Productions-Inhaber) Mannen da gemacht haben: sie hatten ein goldenes Händchen. Frau Davrath klingt auf dieser Scheibe so glockenklar und ausdrucksstark, dass es eine Freude ist, ihr von vorne bis hinten zu lauschen. Hebt man den Tonabnehmer aus der Rille, bevor das letzte Stück verklungen ist, fühlt man sich wie ein Barbar ohne Manieren. Das Orchester ist ebenbürtig klangstark zu hören, mit viel Luft und Raum und einer grandiosen Dynamik.
Canteloube – Songs of the Auvergne - Netania Davrath/Pierre de la Roche + Orchestra
Analogue Productions APC-002
Vielen Vinylliebhabern dürfte „Analogue Productions“ bereits ein Begriff sein. Gründer und Mastermind ist Chad Kassem und aus dem anfangs kleinen Mailorder-Shop wuchs über die Jahre eine veritable Firma, die sogar eigene Produktionen veröffentlicht. Als Kassem noch ein kleines Licht war, lief er mir einmal bei einer High-End Messe in Frankfurt über den Weg. Ich bin seit vielen Jahren mit einem Amerikaner befreundet, der seinerzeit als der beste Vinylhändler an der Ostküste galt. Später schulte er um und ist jetzt Anwalt für Familienrecht. Mit ihm zusammen habe ich seinerzeit als Aussteller ein Zimmer auf der High-End-Messe für eine astronomische Summe angemietet.
Ich importierte zwei große Paletten gebrauchte Vinylscheiben per Luftfracht von meinem US-Freund und wir bauten im Zimmer Verkaufsstände auf. Auf der Wand über der Tür hatten wir vorsichtig mit Tesa-Klebeband einige Cover der begehrtesten Scheiben drapiert. Das sprach sich auf der Messe herum wie Lauffeuer und im Handumdrehen war unser Zimmer überfüllt. Es war als würde der Dealer seine drogensüchtige Kundschaft empfangen, die sich gegenseitig keinen Fund gönnte. Nahezu alle LP’s aus der RCA Living Stereo Serie hatten wir (natürlich jeweils mehrere Kopien), die ganze Palette an Mercury SR’s, Lyrita’s und vieles mehr.
Einer von Vielen, die in den Schubern herumwühlten, war Kassem und er verließ den Raum wieder mit einem guten Dutzend LP’s. Kurze Zeit später bot Acoustic Sounds auch gebrauchte LP’s an und wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir Kassem eventuell auf den Geschmack brachten….
.......die anderen Händler beschwerten sich tatsächlich bei der Messeleitung, indem sie sagten, dass eine High-End-Messe kein Flohmarkt sei. Man schloss uns das Zimmer für gute 2 Stunden bis wir der Messeleitung deutlich machen konnten, das gerade diese Händler mit ihren chromstrotzenden Laufwerken und allerlei anderen hochpreisigen Gerätschaften eher froh sein sollten, dass ihre Kundschaft auch das Futter für ihr Equipment finden kann – was ist denn ein Plattenspieler ohne LP? Und wenn es dann noch gute Aufnahmen und Pressungen sind, erhöht das den Haben-Wollen-Faktor um ein X-faches. Nach 3 Tagen war der Zauber vorbei und wir waren sehr zufrieden mit den Umsätzen.
Es waren noch gut 2000 LP’s „übrig“ und mein Freund sagte einfach ich solle sie quasi als Arbeitslohn behalten, bevor wir den Umstand der Rücklieferung angehen würden. Es war wie Weihnachten für mich und ich kam mit diesem Fundus auch alten LP’s auf den einschlägigen, gesuchten Labels näher, insbesondere im Jazz-Bereich. Ich war wochenlang damit beschäftigt die LP’s nochmals zu reinigen, in neue Innenhüllen von Nagaoka zu packen und zu katalogisieren.
Die Truppe um Chad Kassem bei Analogue Productions jedenfalls nahm sich im Jahr 2010 zweier Elvis-Alben an. Im Gegensatz zu den Originalen, die für sich betrachtet ganz anständig klingen, tut sich bei den beiden Titeln ein eigener Klangkosmos auf. Das gilt nicht uneingeschränkt für jeden Song auf „24 Karat Hits“, denn die frühen Werke wie „Heartbreak Hotel“, „Hound Dog“ oder auch „Jailhouse Rock“ u.a. verströmen wenig High-End-Feeling, auch wenn sie besser als die Originale klingen – die klangliche Konkurrenz ist die 3.LP im Bunde und die schlägt richtig in die Kerbe. Alleine die 6.Seite ist unfassbar dynamisch und kontrastreich, ohne die Regler am Mischpult zu sehr strapaziert zu haben und so den Klang zu verbiegen. „Devil in Disguise“ knallt aus den Boxen, auf „Crying in the Chapel“ tönt ein etwas überdimensionierter Elvis aus der Klangmitte mit einem Schmelz, der dazu taugt, ein Tränchen zu verdrücken. Dann das wunderbare „In the Ghetto“ mit glasklarem Chor im Background und schließlich „Suspicious Minds“ als krönender Abschluss eines Klangpakets allerhöchster Güte.
Die andere Veröffentlichung von Analogue Productions (Elvis Presley with the Jordanaires – Elvis is back - Analogue Productions APP-2231 – 2 LP, 45RPM) enthält das unfassbar klingende „Fever“. Alleine dieses Stück ist das Geld für das Album wert. Dieser Bass, dieser Gesang, dieses Timing….einfach wunderbar. Holen Sie sich diese Alben, solange es sie noch zu Preisen im zweistelligen Bereich gibt.
Elvis Presley – 24 Karat Hits
Analogue Productions APP-2040 – 3 LP, 45RPM
USA 2010
Ich hatte einmal Gelegenheit, die Stierkampfarena in Bogota besuchen zu dürfen. Ich war auf einer Geschäftsreise, die mich von Bogota über Medellin hoch zur Küste nach Cartagena und Santa Marta führte und am Abend vor meiner Abreise aus Bogota war ich Gast zweier Einheimischer, die mich in ein riesengroßes Restaurant in der Nähe der Arena schleppten, dessen Spezialität eine Suppe war, die meiner Erinnerung nach hauptsächlich aus Koriander bestand – jedenfalls schmeckte sie so. Ich hasse Koriander, insbesondere wenn er im Übermaß verwendet wird.
Auf einem kleinen Podest in einer Ecke saßen zwei Männer auf Stühlen und jeder hatte eine Akustikgitarre in den Händen. Sie spielten Stücke die ich nicht kannte, was aber wenig störte, da Kolumbianer dazu neigen, sich lautstark zu unterhalten, wenn sie beisammen sitzen und das pflegten die Herrschaften an allen Tischen zu zelebrieren. Und dann kam dieser Moment, den ich nicht mehr vergessen werde. Die beiden Musiker zupften die ersten Töne des Concierto de Aranjuez an und es wurde still im Lokal. Die Beiden waren beileibe keine Virtuosen auf ihren Instrumenten, aber in diesem Augenblick kamen sie mir vor wie göttliche Boten die mich behutsam entführten. Ich war sicher, dass sie nur für mich spielten. Das war dermaßen ergreifend, dass mir die Tränen kamen. Ich habe mich nicht dafür geschämt. Ich wollte, dass dieser Abend nie zu Ende geht. Als sie dann noch die Asturias aus der Suite Espanola von Isaac Albeniz nachschoben, war ich abgrundtief glücklich und beseelt. Ich hatte sogar den Koriander vergessen und das will bei mir etwas heißen.
Normalerweise bin ich nicht so gefühlsduselig, aber an jenem Abend war ich schon angeschlagen und fühlte mich verloren, weil sich eine Infektion ankündigte, die mich in den folgenden Tagen völlig aus der Bahn warf. Ich schaffte es noch nach Cartagena (was zu jener Zeit zwar schon ein Hot Spot für US-Amerikaner war, die mit ihren orangefarbenen Braniff-747 in Heerscharen über die Stadt herfielen).
Von dort wollte ich die Weiterreise nach Santa Marta antreten und begab mich in einen Bus, der in diese Richtung zu fahren versprach.
Ich hatte mir eine derbe Lebensmittelvergiftung eingefangen und im Fieberwahn warf ich meinen Koffer auf einen der freien Sitze und hoffte, dass der Bus möglichst oft anhält, damit ich hinter eine der unzähligen Bretterbuden kriechen und meinen Durchfall loswerden konnte. Ich dachte weder an mein Gepäck, welches inmitten Fremder herum lag, noch daran was geschehen würde, wenn der Bus ohne mich losfahren sollte. In Santa Marta angekommen torkelte ich in die nächst gelegene und völlig herunter gekommene Herberge und bat um sofortige Hilfe, weil ich merkte, dass mein Bewusstsein drohte, sich zu verabschieden. In irgendeinem Kaff in Kolumbien.
Meine Erinnerung ist etwas schwammig, was den weiteren Hergang betraf, was ich aber noch weiß ist, dass mir ein Raum zur Verfügung gestellt wurde und man mir zu verstehen gab, dass Hilfe auf dem Weg sei und ich durchalten soll. Das liest sich vielleicht dramatisch, aber in diesem Moment dachte ich tatsächlich, dass mein Leben zu Ende geht. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr, alles drehte sich; ich hatte sehr hohes Fieber und dachte zunächst es seien Halluzinationen als ein Mann sich meiner annahm, der sich später als belgischer Entwicklungshelfer zu erkennen gab. Ein Arzt war auch dabei. Nachdem ich eine Spritze bekam (ich weiß beim besten Willen nicht mehr was es war) brachten Sie mich zum Haus des Belgiers. Ich lag in einem abgedunkelten Raum und schlief ein. Ab und zu wachte ich auf und hatte tierischen Durst und trank vom Wasser, welches neben meinem Bett auf einer provisorischen Anrichte stand. Zwei Tage und zwei Nächte ging das so und dann war es schlagartig vorbei. Ich hatte keinen Hunger. Nur Durst. Der Belgier sagte, er will mir etwas zeigen und ich folgte ihm auf eine Veranda. Dort stand ein Eimer mit Fischen und er nahm einen davon und hielt ihn in die Luft. Kurze Zeit später kam ein Riesenvogel angesegelt und setzte sich direkt vor unserer Nase aufs Geländer. Es war ein Pelikan, der sogleich seinen Schnabel öffnete und die typischen Schluckbewegungen machte, nachdem der Fisch in den Untiefen seines Kieferbeutels landete. Wer schon jemals einen Pelikan in freier Wildbahn sah, weiß welch gigantische Spannweite diese Vögel haben. Es war faszinierend.
Später durfte ich noch einen von Skorpionen belagerten Trampelpfad hinab zum Meer nutzen um zu baden. Man riet mir zu etwas Vorsicht wegen der Feuerfische und ich dachte, alle diese Leute dort gehen völlig anders mit den Wundern der Natur um als ich durchgetakteter Mitteleuropäer, der schon bald wieder im Jet sitzt und ins vermeintlich sichere Europa düst. Man kommt sich in solchen Momenten völlig deplatziert vor. Mein belgischer Retter war etwas kauzig aber herzensgut und ich bin ihm ewig dankbar für seine Selbstlosigkeit. Solange es solche Menschen auf unserem Planeten gibt, muss man sich keine allzu großen Sorgen um die Zukunft unserer Spezies machen.
Insbesondere das Concierto de Aranjuez gibt es in unzähligen Einspielungen. Von der gehypten Decca SXL-2091 mit Argenta/NOS und Narciso Yepes bis hin zur Philips mit Pepe Romero und Mariner/St.Martin in the Fields. Von der SXL-2091 habe ich sogar die Original spanische Columbia, die bei Vielen als Erstpressung gilt, was aber nicht stimmt. Die Erstpressung erschien auf dem Alhambra-Label und auch die habe ich in meinem Fundus. Die Decca SXL-2091 ist also im besten Sinne ein Re-Issue eines Re-Issues. Für die Decca spricht das etwas bessere Vinyl, alles andere kann man dem Reich der Fabeln zuordnen. Mein Favorit ist die SR-90488, obwohl Dirigent und Orchester damals nicht zur ersten Riege gehörten. Über die Qualität der Romeros braucht man nicht zu referieren; das gilt sowohl für den Auftritt zu viert, als auch für die Solovorträge. SR-90488 bietet eine Palette an Klangfarben, die schlicht und einfach auf den Alhambras, Columbias und Decca’s nicht vorhanden ist – auch die Diktion ist eine andere: die Mercury klingt frischer, spritziger, Angel Romero jugendlicher als Yepes. Argenta dirigiert mit viel Grandezza, die schon hier und da ein wenig manieriert anmutet, Alessandro lässt seinem Orchester im Gegensatz dazu viel mehr Zügel. Die SR-90488 hat auch mehr Raum, ist leichtfüßiger und klingt trotzdem satt. Wenn Sie nach der LP Ausschau halten, machen Sie bitte einen großen Bogen um die LP’s mit dem „M“-Stamper in der Auslaufrille – das sind die späteren Philips-Pressungen und die fallen meist klanglich ab (es gibt Ausnahmen, aber die sind selten). „RFR“ steht für Richmond Fine Recording (Bob Fine war ein Toningenieur bei Mercury). Bis zur SR-90256 trifft man auch auf so genannte „FR“-Pressungen; diese wurden von der RCA in Indianapolis gefertigt und sind in der Regel superb.
Rodrigo – Concierto Andaluz/Concierto de Aranjuez, The Romeros/Angel Romero, San Antonio Symphony, Cond. Victor Alessandro
Mercury SR-90488 – Maroon Label – Stamper Matrixes: RFR-1/RFR-1
USA 1968
Das Reich der Perser, in welchem die Geschichten aus 1001 Nacht verortet werden, dehnte sich damals sehr weit von der Türkei bis nach Indien aus. Die berühmteste Erzählung ist die von Scheherazade, die dem von Ihrem Mann ausgesprochenen Todesurteil entfliehen wollte und unendlich lange Geschichten erfand. Der Zuhörer war in ihrem Bann und wollte unbedingt immer das Ende einer Geschichte hören und so entkam Scheherazade ihrem Schicksal. Soweit die Fabel. Rimsky-Korsakov ließ viele geographische Einflüsse auf sich wirken, als er die Musik komponierte und wenn man diese Gegenden bereist (den Iran einmal ausgenommen, wo ich nie gewesen bin) und das Stück kennt, denkt man unweigerlich, dass der Meister den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Jedes Segelschiff im schwarzen Meer wähnt man dann als das von Sindbad, von dessen Reise Scheherazade zuerst erzählte…...
Aus dem Konvolut an Living Stereo LP’s in meiner Sammlung habe ich stellvertretend für etliche andere Titel LSC-2446 herausgepickt. Es heißt, dass RCA der Klassikserie damals das „Living Stereo“ Logo verpasst hat, weil die Aufnahmen in einem Take durchgespielt und aufgezeichnet wurden und so der Klang besonders „lebt“. Na ja, das kann ich nicht gerade von allen Living Stereos behaupten, die ich kenne. Manche aber haben es knüppeldick in sich. So auch „Scheherazade“ und hier insbesondere der 4.Satz – Reiner war ein begnadeter (aber auch unerbittlicher) Dirigent und er jagt das Chicago Symphony im Par Force Ritt durch die Passage, in der Sindbads Schiff an den Felsen zerschellt. Das ist ganz großes Kino und auch für Hörer geeignet, die mit Klassik sonst wenig am Hut haben. Vor einiger Zeit war ich auf einem Live-Konzert eines Orchesters, welches die Filmmusik zu einem der „Pirates of the Carribean“ Filme spielte und ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass die Komponisten Badelt und Zimmer – natürlich ohne jede Absicht – den 4.Satz der Scheherazade zumindest nicht ganz außen vor ließen, als sie die Noten zu Papier brachten.
LSC-2446 klingt übrigens als Zweitpressung (White Dog) eine Nuance transparenter; als Shaded Dog muss es nicht die 1S A1 aus Indianapolis sein, die 9S/12S ist mit etwas heißerer Nadel gestrickt, was den Schluss zulässt, dass es seinerzeit ein paar Probleme mit den ersten Matritzen gab. Schon die LSC-2436 Pines of Rome (auch mit Reiner/CSO) war als Erstpressung 1S/1S ein Reinfall, da sie mit für die damaligen Abspielgeräte zu hohem Pegel überspielt wurde und folglich verzerrte. Ausgelieferte und verkaufte Exemplare wurden oft retourniert. Das macht die LP selten und treibt die Preise in die Höhe. Bei LSC-2241 war es noch banaler: das Cover zeigt eine Kanone und die Originalpartitur von Tchaikovsky sah in der 1841 Overtüre in der Tat Kanonenböller vor – auf der Platte aber waren nur Trommeln zu hören und die enttäuschten Kunden brachten die LP zurück. Viele Exemplare wurden nicht davon gepresst, was im Umkehrschluss wieder bedeutet, dass die LP selten und teuer ist. Sammler sind sehr hinter der Aufnahme her, interpretatorisch betrachtet gibt es jedoch bessere Einspielungen.
Rimsky-Korsakov – Scheherazade, Fritz Reiner/Chicago Symphony Orchestra
RCA Living Stereo LSC-2446 Shaded Dog Label, Stamper Matrixes: 9S/12S “I” - USA 1960
Im August und September 1983 war ich auf einer Mission in Zaire, dem heutigen Kongo. Zu jener Zeit regierte Mobuto mit eiserner Hand. Erstaunlicherweise erteilte der damalige US-Präsident Ronald Reagan dem Despoten Mobuto die Ehre eines Staatsbesuches. Ich selbst bekam das Ganze hautnah mit, da ich zusammen mit der Deutschen Botschaft in Kinshasa einen Weg erörterte, wie man Blutkonserven aus Deutschland mittels durchgängiger Kühlkette in das afrikanische Land bringen kann, damit den Ausländern im Notfall kein AIDS-verseuchtes Blut verabreicht wird. Draußen tobte die Hitze und wir saßen in der klimatisierten Bibliothek des Botschafters, wo uns ein livrierter Einheimischer eiskalten Riesling einschenkte. Das war Dekadenz in Reinkultur und damals begann ich heimlich meinen Job zu hassen.
Derweil entspann sich in der amerikanischen Entourage eine aufgeregte Diskussion, weil der obligatorische Ausflug auf Schaufelraddampfschiffen über den Kongo dergestalt geplant war, dass Männer und Frauen auf getrennten Schiffen herumtuckern, was einer Nancy Reagan überhaupt nicht schmeckte. Diese Information hatte ich von US-Staatsangehörigen, die in Kinshasa unter dem Mäntelchen „Zairisch-Amerikanischer Freundschaftsverein“ allerlei Dingen nachgingen, die mir bis dahin verschlossen blieben.
Später erzählte mir ein Eingeweihter, dass es ein Ableger der CIA war. Im Nachhinein wurde mir schlagartig klar, warum wir nirgends warten mussten, wenn es darum ging, am Eingang zu Restaurants oder anderen Lokalitäten auf Einlass zu hoffen. Wir fuhren mit Jeeps durch Kinshasa wie Kolonialisten und wurden – so zumindest meine Einbildung – von Tausenden Augenpaaren beäugt. Das war gespenstisch und meine Gastgeber schienen das Wort Vorsicht erfunden zu haben – so gab es beispielsweise grünen Salat zum Abendessen, was in jedem afrikanischen Land in 99% aller Fälle zu Montezumas Rache führt; nicht so bei meinen amerikanischen Freunden, denn die sorgten dafür, dass der Salat mit Jod gewaschen wurde. Es schmeckte genauso ekelhaft wie Koriander.
Wie dem auch sei – die Herrschaften waren mit für die damalige Zeit hochwertigem Musik-Equipment ausgestattet und so hatte ich meine erste „high-fidele“ Begegnung mit Donald Fagens Soloalbum – wenigstens der Musikgeschmack meiner Gastgeber schien in Ordnung.
“The Nightfly” ist eine Digitalaufnahme. Wer jetzt die Nase rümpft, weiß nicht was er verpasst. Dank Robert „Bob“ Ludwig geriet das Mastering satt, voll und kein bisschen nervig. Die deutsche Pressung klingt fantastisch. Mehr als auf den späteren „Kamikariad“, „Morph the Cat“ und „Sunken Condos“ serviert Fagen hier eingängigere Stücke, die aber nicht minder vertrackt sind. Mit seinem leider viel zu früh verstorbenen Partner Walter Becker spielte er einige tolle Steely Dan-Alben ein und die Band galt schon seit jeher als ein wenig verkopft, aber genial. Man schaue sich das Cover zu „The Nightfly“ an und kann sich sofort vorstellen, dass der Radio-DJ alle Songs des Albums spät abends durch den Äther jagt. Wie auf einigen Steely Dan Alben auch, hätte ich allerhöchstens etwas am Schlagzeug-Sound auszusetzen, der mir hier auf manchen der Stücke ein wenig zu maschinell geriet, was aber nicht der Digitalaufnahme geschuldet ist. Es sind die Stücke auf denen Ed Greene trommelt. Der Mann ist ein lebendes Metronom, aber für meinen Geschmack eine Nuance zu kühl. Die Stücke, auf denen Jeff Porcaro (Toto) trommelt sind lebendiger. Aber wie immer ist das Jammern auf hohem Niveau. Die LP ist schlicht und einfach toll – musikalisch und klanglich.
Donald Fagen – The Nightfly
Warner 92.3696-1 – Stamper Matrixes: SH-1, SH-1, MASTERDISK RL - Deutschland 1982
Stefan war der Hippie in unserer Schulklasse; ein Außenseiter mit Nickelbrille, langen Haaren und der unvermeidlichen Armee-Jacke. Aber er war ein schlaues Kerlchen und immer ganz vorne dabei, wenn nach Klassenarbeiten die Noten bekannt gegeben wurden. Sein Markenzeichen war eine Art Jutebeutel und ich konnte mich nur wundern, welche Menge an Utensilien da reinpasste. Irgendwann bildeten er und ich eine 2-Mann-Gruppe, die im Physikunterricht dem Rest der Klasse ein Experiment vorführen sollte. Vorher galt es noch ein paar allgemeine Fragen zu beantworten, die mit Energie zu tun hatten. Ich weiß noch wie die herzallerliebste Cornelia – immer top frisiert und modisch angezogen – auf die Frage des Lehrers, was eine Kalorie sei, antwortete: „Eine Kalorie ist ein Stoff, der dick macht“. Das war eine messerscharfe Analyse und wen interessierte da noch die Geschichte der Kalorie als Energieangabe, die ein Gramm Wasser um 1 Grad erhitzt – im weiten Rund der Schülerinnen unserer Klasse fand Cornelia Zustimmung, was man daran erkannte, dass die Mädels nicht mit den Augen rollten, sondern verständnisvoll nickten. Die Kalorie als Metapher für die Geißelung der weiblichen Menschheit durch frugale Abstinenz.
So in etwa hätte Stefan es gesagt, wenn er denn unaufgefordert gesprochen hätte. Er und ich spannten in unserem Experiment einen dünnen Draht zwischen 2 Metallgestelle und setzen diesen unter Strom, um den erstaunten Zuschauern zu demonstrieren, wie er begann zu glühen. Und da kam so ein wenig die terroristische Ader Stefan’s durch. Er gab das Maximum an Saft drauf und das Drähtchen löste sich an den Enden von den Halterungen, um sogleich auf der Tischoberfläche eine leicht geschlängelte Brandspur zu hinterlassen. Selbstredend saßen wir fortan im Physikunterricht immer zusammen und als quasi ewiges Mahnmal bekamen wir exakt jenen Tisch, den wir mit unserem Experiment so außergewöhnlich verschönerten. Eines Tages sah ich im Jutebeutel meines Komplizen das Cover eines Albums und schaute genauer hin – eine hässliche Fratze starrte mich da an – ich konnte weder sehen von welcher Band die LP war, noch wie sie hieß. Später irgendwann durfte ich das Schätzchen in die Hand nehmen und sah das Pink Rim Island Label. „In the court of the Crimson King“ stand da.
Es war das Debut-Album einer wegweisenden Progressive-Rockband. „21st Century Schizoid Man“ war 1969 ein Schocker. Der verzerrte Gesang, die kreischende Gitarre, die messerscharfen Bläser und dieser Beat waren ihrer Zeit voraus, wobei ich persönlich dieses Stück nicht unbedingt öfter anhöre. Mir gefällt das verträumte Improvisationsgeklimper auf „Moonchild“ irgendwie besser, auch wenn man nicht wirklich von einem Song sprechen kann. Die Essenz des Albums bilden aber die anderen drei Titel, als da wären „I talk to the wind“ als sanfte Brise und „Epitaph“ sowie „In the court of the Crimson King“ als Statement für den Sound, der erstmals in großem Stil das Mellotron bei progressiver Musik einband. Generell in die Musik eingeführt haben das Robert Fripp und seine Mannen jedoch nicht – da waren beispielsweise „The Moody Blues“ 1967 früher dran. Hören Sie sich „Nights in white Satin“ an, dann wissen Sie was ich meine. „In the court….“ leidet ein wenig unter den damaligen bescheidenen Aufnahmemitteln, klingt aber nichtsdestotrotz warm und voll; im besten Sinne analog.
Die Erstpressung hat die Matritzen A▽2 und B//2 und hat ein angerautes rosafarbenes Label, alle Pressungen die danach folgten, hatten das „softe“ pinkfarbene Label bis zur Änderung des Labeldesigns hin zum Pink Rimmed Palm Tree Label. Ich habe eine Pink Rimmed mit A4/B4 Matrixes die toll klingt, wenngleich sie nicht ganz an die Pink Islands heranreicht. Die Erstpressung ist sündhaft teuer und angesichts der Tatsache, dass es „Moonchild“ auf Pink Islands nie wirklich ganz sauber gibt (das ist teilweise ein sehr ruhiges Stück und da schlagen die Vinylqualität und der Zustand eben voll durch), sollten Sie diese ignorieren, da es eine andere Pressung gibt, die der Erstpressung ebenbürtig ist. Und das ist die hier vorgestellte A▽2, B//4. Die ist zwar auch nicht gerade billig, aber doch sehr weit vom Preis der A▽2 und B//2 entfernt. Es gibt noch A2/B3 und A3/B3 auf dem Pink Label, aber bei diesen Pressungen fällt die 2.Seite klanglich dermaßen deutlich ab, dass ich nur davon abraten kann. Island hat den B3 Stamper vermurkst und das hört man leider. Einer der „heiligen“ Momente auf ILPS-9111 ist der Übergang von „I talk to the wind“ zu „Epitaph“, wenn die Musik langsam aus dem Hintergrund herankriecht und sich dann bis weit über die Außenränder der Boxen hinaus im Raum verteilt. Greg Lake legt sich gesanglich sehr ins Zeug. Leider weilt auch er nicht mehr unter uns, jedoch habe ich sehr viele Tonkonserven, auf denen er zu hören ist – allen voran „Lucky Man“ vom ELP Debut-Album. Ich will Ihnen noch zwei weitere King Crimson LP’s ans Herz legen: „Lizard“ ILPS-9141 und „Larks’ tongues in Aspic“ ILPS-9230, jeweils als englische Erstpressungen. Die anderen King Crimson –Alben haben zwar auch ihre Meriten, klingen aber nicht durchgängig gut. Mein geheimer Favorit ist „Larks Tongues…“ weil nicht nur die Musik atemberaubend ist, sondern auch eine Menge schöner Erinnerungen aufkommen, wenn ich „Easy Money“ oder das Titelstück spiele......siehe weiter hinten........
King Crimson – In the court of the Crimson King
Island ILPS-9111 – Pink Label – Stamper Matrixes A▽2, B//4
England 1969
Hier wollten die Mannen um Uwe Kirbach bei der Image Hifi (deutsches High End Magazin) einmal demonstrieren, welch audiophilen Klang man aus vier bekannten Stücken des Bert Kaempfert Orchesters zaubern kann und es ist ihnen gelungen. Wie bei vielen der neuartigen 180-Gramm-Pressungen dickt der Bassbereich etwas auf, weshalb es angeraten ist, die Tonarmhöhe zu justieren. Hinten (an der Achse) etwas höher und dann hören. Reicht es noch nicht, weil es im Frequenzkeller noch wummert: Tonarm noch etwas höher – alles natürlich in ganz kleinen Schritten. Das Prinzip funktioniert auch anders herum: wenn eine Scheibe matt klingt und die hohen Frequenzen lediglich mehr erahnt als gehört werden können, stellen Sie doch einfach mal den Tonarm hinten ein bisschen höher – das kann Wunder bewirken. Was Sie auch ab und zu kontrollieren sollten, ist die Auflagekraft – nehmen Sie dazu eine gute Tonarmwaage und verlassen Sie sich nicht auf die Skala an den Gegengewichten des Tonarms. Fangen Sie dabei mit dem niedrigsten vom Hersteller des Tonabnehmers angegebenen Wert an und arbeiten sich hoch, bis der Klang „einrastet“.
Die Kaempfert-LP klingt dynamisch und bassgewaltig, alles im typischen Polydor-Sound der Endsechziger/Frühsiebziger mit dem unvermeidlichen Slap-Bass, der vielen Kaempfert-Einspielungen zu eigen war, aber auch fein durchzeichnend in den Höhen. Die Auswahl der Stücke spiegelt sehr gut das larmoyant coole Lebensgefühl der Schickeria jener Zeit wider. „Swingin’ Safari“ beispielsweise hat sogar einen etwas jazzigeren Mittelteil zu bieten. Manche Passagen aus Kaempfert’s Werken würden auch sehr gut als zusätzliche Filmmusik für Antonionis „Blow Up“ aus dem Jahr 1966 taugen – sozusagen als etwas leichterer Kontrapunkt zu den von Herbie Hancock geschriebenen und eingespielten jazzigeren (und manchmal nervenden) Titeln in diesem Streifen, weil sie im weitesten Sinne schon das gleiche Oevre der roaring sixties in London vermitteln, diese schwer zu beschreibende Aufbruchstimmung für ein noch nicht definiertes Ziel. Das Lebensgefühl wurde von der Illusion genährt, dass es keine Limits gibt. Nahezu Jeder fühlte sich cool. Das Gekünstelte an „Blow Up“ war der etwas hektische Schnitt und das ständig lauernde Grauen eines unentdeckten vermeintlichen Mordes, sowie lasziv frivole Anspielungen als Skandälchen, welche ein paar Jahre später schon belächelt wurden.
Ein gewisser Johann N.Schmidt schreibt zum Film: „…Thomas verwandelt eine Fotosession mit Veruschka von Lehndorff in einen quasi-sexuellen Akt, und Kunst gewinnt den Charakter freier Verfügbarkeit in einer Welt, in der Realität und Illusion, Original und Reproduktion immer weniger voneinander geschieden sind….“ Ich will genau das, was Herr Schmidt auch geraucht hat.
Kaempfert’s Musik ist nicht tiefschürfend und in gewisser Weise auch asexuell, mit einem Anflug von gepflegter Langeweile auf Cocktail-Parties der oberen Zehntausend. Aber der Mann hat Respekt verdient, nicht nur weil er Sinatra’s „Strangers in the Night“ schrieb - allen Unkenrufen zum Trotz blitzt inmitten des fast Banalen hier und da Geniales durch. Anhören!
Bert Kaempfert – From the original master tapes - four Hits on 45
Image Hifi LP 007
Deutschland 2004
An der 10th Avenue in Manhattan, in etwa Höhe 18th Street, wohnte Marianne. Ich lernte sie über Geschäftspartner kennen und sie war so nett uns ein wenig „herum zu führen“. Marianne hatte ein pinkfarbenes Cadillac Cabrio (ja, es klingt nach Klischee, aber es ist die Wahrheit), auch sie selbst war auffällig gekleidet und „ein bisschen durch den Wind“ wie man so schön sagt. Sie chauffierte uns ein Stück nach Süden Richtung Whitney Museum, um in einer abgelegenen Straße Halt zu machen. Unser Blick fiel auf eine Menschentraube, die sich vor einer Treppe bildete. Oben schauten zwei Türsteher grimmig herunter zur unruhigen Menge, die Einlass begehrte. Marianne winkte einem der Männer zu und dieser kam die Treppe herunter, um uns eine Schneise zu schaffen. Wir nahmen uns alle bei der Hand und schlupften durch ein großes Eisentor in einen der unzähligen Clubs in Manhattan, auf die kein einziges Schild von außen hindeutet. Der Bartresen war ein gigantisch langes Aquarium, welches mit allerlei Lichtern indirekt bestrahlt wurde. Der Raum war groß und nur mäßig gefüllt. Die Lautstärke der Musik nahm uns die Luft zum Atmen. „Pharaoh’s Dance“ von Miles Davis lief da am Anschlag. Auf der Bühne in einer Ecke des Raumes tanzten barbusige Japanerinnen wie in Trance. Marianne sagte uns später, dies seien Touristinnen und die Adresse des Clubs wird nur unter Insidern gehandelt. Sonst wäre ganz schnell die Sitte da. Eine Woche vorher gab es im „The World“ nämlich Ärger, als eine Art Massenmasturbation stattfand, natürlich in drogengeschwängerter Luft. Ich sah da eine weitere Woche zuvor Jerry Harrison, den Keyborder der Talking Heads, mit seinen Casual Gods – an der Gitarre: der geniale Chris Spedding. Aber alle Anwesenden waren sehr brav und züchtig.
Die „Bitches’ Brew“ muss man laut hören. Das ist eine Ikone des Genres Fusion-Jazz. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie noch nichts von Miles Davis kennen, empfehle ich Ihnen mit „Kind of Blue“ einzusteigen, einem Album das auch für Hörer geeignet ist, die mit Jazz nichts anfangen können. Vermeiden Sie aber auf jeden Fall, nach einer MONO- oder STEREO-Erstpressung auf dem 6-eye-Columbia-Label zu schauen. Vom horrenden Preis einmal abgesehen hat sich nämlich herausgestellt, dass die Geschwindigkeit der Bandmaschinen beim Mastering falsch eingestellt war! Die Musik erklang also in der falschen Tonhöhe. Erst mit den Re-Issues wurde dieser Fehler korrigiert. Und wenn Sie nun meinen dies sei ein Scherz, machen Sie sich bitte an anderer Stelle schlau. Wenn ich nur an die vielen Sammler denke, die 3-stellige Summen für die 6-eyes anlegten….
Über Miles Davis ist bereits alles gesagt und geschrieben, über die Musik auf Bitches Brew auch, weshalb ich den Fokus mehr auf den Klang dieses Doppelalbums legen will. Vorher aber noch ein Wort zu den Musikern: das „Line-Up“ der Band liest sich schon so richtig lecker. Es spielen neben Miles noch Jack DeJohnette, John Mc Laughlin, Wayne Shorter, Chick Corea, Joe Zawinul, Don Alias, Lenny White, Dave Holland, Jim Riley, Bennie Maupin und Harvey Brooks. Schon der Beginn von „Pharao’s Dance“ vermittelt einen guten Eindruck über den Raum, den der Produzent Teo Marcero der Aufnahme verpasste. Alles wirkt ein paar Meter zurückgesetzt, um den Überblick zu wahren; immerhin spielt hier eine Band in der Stärke eines Fussballteams. In der Mitte Miles’ Trompete, links und rechts allerlei Schlagwerk, ein singender Bass als Teppich und Pianoläufe (E-Piano) bzw. – sprengsel hier und da. Alles fügt sich organisch ineinander. Den 2-eye Columbias wird teilweise harscher Klang (besonders in den Höhen) nachgesagt und in der Tat kenne ich einige Exemplare, die dies bestätigen, es gibt aber eine Menge Ausnahmen, zu welchen auch Bitches’ Brew gehört. Mit Tonabnehmern minderer Güte abgespielt, kann Miles’ Trompete ein wenig spitz klingen, wobei man sich immer vor Augen halten muss, dass es sich um ein Blechblasinstrument handelt. Die englische Erstpressung auf dem orangefarbenen CBS-Label klingt auch gut. Diese Doppel-LP ist ein Meilenstein.
Miles Davis – Bitches Brew
Columbia GP 26 – “2-eye”-Label, Stamper Matrixes: 1C, 1C, 1C, 1D
USA 1970
Schon die “normale” Pressung dieses Albums aus dem Jahr 1979 klingt als US-Ausgabe richtig gut. 1983 kam dann das Mobile Fidelity Re-Issue (MFSL 1-089) auf den Markt, welches eine Weile lang preislich sehr hoch gehandelt wurde, zeitweise war es die teuerste MFSL zusammen mit Ry Cooder’s „Jazz“. Die Pressung ist etwas besser als auf der US-Warner, die Unterschiede jedoch relativ gering, die Höhen klingen auf der MFSL etwas spritziger, was bei schlechteren Pick-Ups schnell nerven kann. Für die besseren Tonabnehmer im niedrigen Preisbereich war das oft ein Segen, weil sie dann etwas „heller“ klangen. Wenn ich mir anschaue, welchen Plattenspieler nebst Tonabnehmer MFSL kürzlich auf den Markt brachte, wird mir so einiges klar, was die Remastering-Philosophie angeht (von der kürzlichen Beichte, dass als Ursprungsmaterial digitale Files verwendet wurden, einmal abgesehen). Es ist ein wenig merkwürdig, dass diese Firma einerseits hochpreisige Schallplatten fertigt und vertreibt, andererseits aber nicht allzu hohe Ansprüche an das Abspielequipment zu stellen scheint – oder man hat aus marketingtechnischen Gründen höhere Verkaufszahlen im Sinn, was aber eigentlich den eigenen Anspruch an die Vinyls konterkariert, die je nach Werbelyrik im Waschzettel alles andere in den Schatten stellen (sollen). Ich hätte mich anstelle von MFSL mit einem renommierten Hersteller wie z.B. VPI kurzgeschlossen, die nachweislich auch zu vertretbaren Preisen anständiges Equipment verkaufen, wie beispielsweise den VPI Scout, dann nennt man den eben MFSL Boyscout. So wie der High-End-Hersteller McIntosh seine Laufwerke auch nicht selbst baut. Bestückt hätte ich den Tonarm mit einem schönen Denon DL-103R MC im Preisrahmen um die 250-300 Euro und fertig wäre ein wirklich toller Spieler. Na ja, merkwürdig ist es allemal, aber nicht das Thema hier.
Im Jahr 2012 brachte MFSL ein neues Re-Issue als Einzel-LP (MFSL 1-392) heraus. Dieses Mal wurde mit dem so genannten Gain 2 Verfahren gemastert.
Nur wenige Wochen später schob MFSL ein Doppelalbum nach. Beide LP’s rotieren mit 45RPM und ich muss gestehen, dass diese Ausgabe hervorragend klingt (ich war eine Weile lang unentschlossen, ob ich sie kaufen soll, weil etliche MFSL’s die Basskrankheit haben). Die Dynamik ist über jeden Zweifel erhaben, die Höhen sind nicht ganz so spitz wie auf der ersten MFSL 1-089, die LP’s klingen „organischer“. Ob es den saftigen Aufpreis wert ist lasse ich mal dahingestellt.
Frau Jones hatte mit diesem Debut-Album die musikalische Messlatte sehr hoch gelegt, denn die Kompositionen sind durchweg toll. Jedem Sammler und Kenner geht auch das Herz auf, wenn er das Line-Up der Band liest: Red Callender und Willie Weeks abwechselnd am Bass, als Drummer standen Andy Newmark, Jeff Porcaro, Mark Stevens, Steve Gadd und Victor Feldman zur Verfügung, Buzz Feiten und Fred Tackett spielen – so wie Frau Jones auch – Gitarre, Mac Rebenack (als Dr.John bekannt) und der geniale Neil Larsen (siehe „Jungle Fever“) Keyboards und unter den Bläsern tummelt sich auch Tom Scott (bekannt aus der Band von Joni Mitchell). Sogar Randy Newman gab ein Stelldichein. Die junge Dame hatte also auf Anhieb die Cracks an Ihrer Seite und Warner zahlte. Ich lasse Milde walten und sage, dass die Demo-Tapes überzeugten und nicht etwa ihr damaliger Lebensgefährte Tom Waits die Finger im Spiel hatte. Wer die Platte noch nicht hat, muss sie auf den Zettel der Pflichtkäufe setzen – starten Sie mit der einfachen und preisgünstigen US-Pressung und arbeiten Sie sich hoch, wenn Sie mögen. Es lohnt sich sehr.
Rickie Lee Jones
MFSL 1-089
USA 1983
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann mir diese LP in die Hände fiel. Ich denke es war anlässlich eines dieser Flohmarktkäufe rund um Washington Square in Manhattan, zusammen mit Dutzenden anderen Scheiben. Immer wenn ich dorthin flog, reiste ich mit einem Koffer weg und kam mit zwei Koffern zurück. Zolltechnisch war das kein Problem, weil man nach wie vor als anachronistisch gilt, wenn man statt günstiger Elektronik oder CD’s einfach „olle“ Vinylplatten aus den USA mitbringt. Das weiß ich aus praktischer Erfahrung und sehe noch heute das Gesicht des Zollbeamten, nachdem der Koffer zwecks Stichprobenkontrolle geöffnet werden musste. Viele der Schätzchen waren natürlich in erbärmlichem Zustand, schließlich läuft man nicht mit einem Plattenspieler auf Flohmärkten herum und hört deshalb erst Zuhause, wie abgenutzt eine Scheibe ist. Eine optische Bewertung, so wie viele Verkäufer sie auf den bekannten Internet-Auktionsbörsen anpreisen, ist völliger Blödsinn. Es gibt viele LP’s die noch gut aussehen, aber knistern wie ein Lagerfeuer, oder solche die einfach mit defekten Nadeln abgetastet und damit zerstört wurden.
Auch ST-2610 ist ein bisschen problematisch, besonders was die Modulationen betrifft. Die Rillenflanken müssen sauber und unbeschädigt sein, sonst verzerrt es bei den teilweise heftigen Impulsen. Die Musik selbst ist leichte Kost, vielleicht hier und da auch ein wenig banal. Wenn ich jedoch daran denke, dass viele Sammler eine Mercury SR-90144 Hifi a la Espanola wegen des Klangs loben und galant darüber hinwegsehen, dass der musikalische Inhalt fast schon eine Zumutung ist, dann ist ST-2610 hohe Kunst. Jack Marshall spielt Akustikgitarre und Shelly Manne natürlich Percussion. Die Gitarre ist etwas größer abgebildet als im richtigen Leben, aber das trübt den Genuss keineswegs. Diese LP klingt überirdisch gut und selbst meine Bekannten, die eher über Schönberg und Shostakovich brüten, geben zu, dass diese Scheibe riesigen Spaß macht. Man findet die LP für wenig Geld auf drei, zwei, eins, meins…..allerdings darf man nicht die Versandkosten unterschätzen, wenn der Verkäufer in den USA sitzt. Verzollt wird der Gesamtwert einschließlich Versandkosten. Die Zollgebühren sind nicht hoch für Vinyl, das Problem ist die 19%-ige Einfuhrumsatzsteuer. Oder notieren Sie die LP auf einem Spickzettel und wenn es sie mal in die USA verschlägt, stöbern sie ruhig durch Second-Hand Vinylläden. Die Platte war populär und dürfte leicht zu finden sein.
Jack Marshall & Shelly Manne – Sounds
Capitol ST-2610 – Rainbow Label – Stamper Matrixes:
USA 1966